African Boogie
es war warm, fast heiß. Doch ihrer Familie schien es nichts auszumachen. Sie lachten, ihr Vater mochte einen Witz erzählt haben, vielleicht eine Anekdote aus seinem Geschäft. Ihre Eltern saßen wie üblich auf dem großen Sofa, Susanne hatte sich in ihren Lieblingssessel gekuschelt. Der zweite Sessel war leer. Und doch stand dort ein viertes Gedeck.
Katharina kam nicht mehr dazu, sich weiter darüber zu wundern. Die große Panoramascheibe des Wohnzimmers zersprang. Durch den Scherbenregen trat Andreas Amendt, eine Pistole in der Hand. Eine Walther PPK. Katharina wollte nach ihrer eigenen Waffe greifen, doch ihr Holster war leer. Sie sprang ihm unbewaffnet entgegen; er stieß sie mit Leichtigkeit zu Boden, stieg über sie hinweg, legte auf ihre Familie an und schoss. Acht Mal. Die Schüsse dröhnten in Katharinas Ohren, sie sah, wie Susanne über die Lehne ihres Sessels sackte. Dann drehte sich Amendt zu ihr um. Routiniert wechselte er das Magazin der Waffe. Katharina wollte aufstehen, weglaufen, doch ihre Beine versagten den Dienst.
Er richtete die Waffe auf sie. Und dann … begann er zu singen: »Auf Mafia steht ein Hofbräuhaus, eins, zwei, gsuffa …«
Katharina fuhr aus dem Schlaf hoch. Das war mit Abstand die absurdeste Wendung, die ihr Albtraum je genommen hatte.
Plötzlich fiel ihr auf, dass das Singen aus ihrem Traum noch gar nicht aufgehört hatte. Draußen vor ihrem Fenster grölten Männer. Sie sprang aus dem Bett und zog den Vorhang einen Spalt auf.
Tatsächlich! Da wankten drei Männer vorbei. Den Mittleren hatte es wohl am schlimmsten erwischt; seine Kollegen mussten ihn stützen, obwohl sie auch schon ziemlich Schlagseite hatten. Sie kamen durch das Licht einer Laterne, sodass Katharina sie erkennen konnte: Jens Mandeibel und Jean-Luc Mei-äär, die beiden Rüpel. Dritter im Bunde war Dirk-Marjan. Na, da würde Kristina aber morgen schimpfen.
Katharina wollte sich schon wieder ins Bett legen, doch ihre Kleider waren schweißnass. Also fischte sie ein frisches T-Shirt heraus und ging in das Freiluft-Badezimmer. Sie duschte kalt und trocknete sich mit einem nach Lavendel duftenden Handtuch ab.
Verdammt, jetzt war sie wach. Dabei war es erst ein Uhr nachts. Sie schaltete den Fernseher an und zappte durch die Kanäle, doch es lief nichts Gescheites. Sie ließ den Fernseher auf CNN, drehte aber den Ton leise. Dann setzte sie sich in einen Korbsessel und dachte über ihren Traum nach. Was war noch mal so seltsam gewesen, jenseits der unvermuteten Gesangseinlage? Richtig. Vier Gedecke! Wollte der Traum ihr etwas sagen?
Das ließ sich ja leicht überprüfen. Sie nahm die Akte aus dem Safe und blätterte, bis sie das Foto von der Kaffeetafel gefunden hatte. Marmorkuchen, Tee, Kaffee und vier Gedecke. Tatsächlich. Hatten ihre Eltern einen Gast erwartet? Wenn ja, wen? Oder war das vierte Gedeck für Andreas Amendt gewesen, der nach eigenen Angaben zu dieser Zeit in Susannes Zimmer geschlafen hatte? Dann wäre er tatsächlich schon im Haus gewesen. Wozu dann die Scheibe? Eine falsche Spur? Wollte er einen Einbruch vortäuschen?
Was hätte Thomas jetzt getan? Welche Frage hätte er gestellt? Natürlich! Am besten begann sie damit, alle Spuren zu finden, die sich Amendt eindeutig zuordnen ließen. Vielleicht konnte sie so rekonstruieren, wann er wo gewesen war.
Sie heftete die Akte aus und begann, die Blätter entsprechend zu sortieren. Der Stapel, der direkt auf Andreas Amendt Bezug nahm, war erschreckend klein. Der Bericht vom Ersten Angriff und seiner Festnahme. Gut, dass er am Tatort gewesen war, stand ja fest. Finger- und Fußabdrücke. Die Untersuchungen und Fotos zu seinen Kleidern, zuletzt die Ergebnisse einer körperlichen Untersuchung.
Sie begann mit dem Bericht zu Amendts Kleidung. Zu den Blutspuren. Grobe Spritzer und großflächige Wischspuren, als hätte er sich seine Hände abgewischt. Natürlich. Wenn er aus nächster Nähe geschossen hatte, musste Blut auf seine Hände gespritzt sein. Aber so viel? Vielleicht hatte er beim Aufsammeln der Patronenhülsen in eine Lache gefasst.
Katharina sah sich das Foto des T-Shirts und der Hose an. Irgendetwas störte sie an den Blutspuren, aber sie wusste nicht, was.
»Schuhe?« hatte Thomas unter die Bilder notiert. Und eine Seitenzahl. Katharina blätterte in der Akte, bis sie die Stelle fand. Amendts Schuhe waren in Susannes Zimmer gesichert worden. Und eines war auch dem Spurensicherungs-Team schon aufgefallen: Sie waren sauber. Zumindest
Weitere Kostenlose Bücher