African Boogie
haben, der wusste, was er tat. Immer schneller und rhythmischer wurde die Musik, der Freiherr wirbelte sie im Takt herum. Als die Musik nach einem trommelnden Höhepunkt unvermittelt endete, landete sie zum letzten Mal in seinem Arm. Der Freiherr schaute auf sie herab. »Übrigens. Wir haben Publikum.« Und damit zog er sie geschickt in die Höhe und brachte sie zum Stehen. Katharina sah zur Seite. Offenbar hatte niemand mehr getanzt, alle sahen zu ihnen. Jemand begann zu klatschen. Katharina spürte, wie ihre Wangen anfingen zu glühen.
Der Freiherr hatte ihre Verlegenheit erkannt. Höflich geleitete er sie zu ihrem Platz zurück, rückte ihren Stuhl zurecht und wartete, bis sie Platz genommen hatte. Dann deutete er eine Verneigung an: »Sie gestatten, dass ich mich zurückziehe? Die letzte Nacht steckt mir noch ein wenig in den Knochen.«
Und dann war von Weillher verschwunden. Katharina hatte fast damit gerechnet, dass er sie auffordern würde, ihn zu begleiten. Aber der Freiherr war wohl ein echter Tangotänzer: Flirten nur während des Tanzens.
»Andreas«, bemühte sich Sandra Herbst kernig, die eisige Stille zu überbrücken, die wieder an ihrem Tisch herrschte. »Warum leistest du nicht auch einen Beitrag zur Abendunterhaltung?«
Der so Angesprochene schien nicht sehr begeistert. »Ach, weißt du … Ich habe meine Gitarre nicht dabei und –«
»Schnickschnack.« Sie blickte sich um, bis sie Augustin erspähte, und winkte ihm. Er eilte an ihren Tisch. »Denkst du«, fragte sie, »dein Kollege ist bereit, seine Gitarre für ein oder zwei Stücke an Andreas abzugeben?«
»Aber sicher doch.«
Sandra Herbst gab Andreas Amendt einen Schubs. »Geh schon.«
Er gehorchte widerwillig, nahm die Gitarre auf den Schoß, ließ die Finger über die Saiten gleiten, korrigierte die Stimmung. Nicht »Autumn Leaves«, betete Katharina für sich. Nicht das Lieblingsstück ihrer Schwester. Das hatte er gespielt, als sie ihn zum ersten Mal mit Gitarre erlebt hatte. Es war ihr durch Mark und Bein gegangen.
Ihre Bitten wurden erhört. Amendt schlug ein paar rhythmische Akkorde an, die anderen Musiker folgten begeistert der Improvisation. Immer wieder trat ein anderes Instrument in den Vordergrund, und immer wieder ließ Andreas Amendt die Finger für ein kleines Solo über die Saiten gleiten.
»Das Musikmachen wird ihm guttun«, sagte Sandra Herbst zu Katharina. »Er macht sich rasende Vorwürfe, weil er mit der Koniotomie nicht schnell genug war. Er hasst es, Patienten zu verlieren.«
»Ich dachte, als Arzt gewöhnt man sich dran? Oder ist das eine neue Entwicklung bei ihm?«
Sandra Herbst erwiderte kühl: »Nein, Andreas war schon immer so. Hat ihn beinahe den Job gekostet, als er sich geweigert hat, bei einem Patienten die Beatmungsmaschine abzustellen. Wenn der Patient nicht wirklich wieder aufgewacht wäre …«
»Schon immer?«
»Richtig. Ich vergesse immer, dass Sie ihn noch nicht so lange kennen. Sie sehen Ihrer Schwester einfach zu ähnlich.« Sandra Herbst musste bemerkt haben, wie Katharina zusammenzuckte. »Verzeihung, ich wollte nicht …«
»Nein, nein. Keine Ursache. Erzählen Sie weiter.«
»Susanne war die einzige Frau, die ihn jemals interessiert hat, wissen Sie? Die meisten haben schon gedacht, er sei schwul. – Aber Ihre Schwester hat sich immer auf die Visiten geschlichen. Obwohl sie noch kein Staatsexamen hatte. Freche Fragen gestellt. Erstaunlich oft hatte sie recht.«
Ja, das passte. Susanne hatte sich zum vierzehnten Geburtstag einen Anatomie-Atlas gewünscht. Schon damals hatte sie gewusst, dass sie Ärztin werden wollte.
»Andreas mochte sie. Und, na ja, dann auf einem Konzert in einem Jazzkeller … da hat es plötzlich gefunkt zwischen den beiden. – Aber sicher wollen Sie das alles nicht hören.«
»Doch, doch. Was ist an diesem Tag passiert? Sie wissen schon.«
»Ehrlich gesagt ist mir das immer noch rätselhaft. Andreas und ich hatten unsere Schicht zusammen. Ein Patient hat gekrampft. Epilepsie. Die Schwester hat es nicht rechtzeitig gemerkt, da hatte der Patient sich schon die Zunge abgebissen. Wir sind zu spät gekommen. Das hat Andreas aber nicht daran gehindert, dass er … Sie haben ja gesehen, was mit ihm passiert, wenn ein Patient stirbt.«
»Und dann?«
»Andreas war völlig fertig. Eigentlich wollte er Susanne absagen. Aber sie hat ihn am Telefon zu sich beordert. Mehr weiß ich nicht. Leider. Ich habe erst am nächsten Morgen erfahren, dass Andreas in
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