African Boogie
welchen Gründen auch immer lieben ihn die Affen und gehorchen ihm aufs Wort.«
Chittaswarup Kumars großer Bungalow lag hoch oben in den Felsen, fernab von der übrigen Hotelanlage. Der Inder saß auf der Veranda und las in einem Buch. Er sah auf, als sie kamen und winkte seinen Leibwächtern: »Lasst sie durch«, befahl er in akzentfreiem Deutsch. »Die wollen wissen, ob ich die Brücke gesprengt habe. – Tee?«, fragte er unvermittelt, wartete die Antwort gar nicht erst ab und klatschte in die Hände. Ein zierliches Mädchen erschien in der Eingangstür, und er bestellte Tee für sie alle.
»Nehmen Sie doch Platz!«, sagte Kumar höflich. »Und fragen Sie.«
»Woher wissen Sie denn, was mit der Brücke passiert ist?«, fragte Harry.
»Hab’ ich recht? Gesprengt? Dachte ich es doch. Die Brücke sollte ja angeblich einsturzsicher sein.«
»Und? Haben Sie die Brücke gesprengt?«, fragte Katharina.
»Nein. Sehe ich aus wie ein Bombenleger?«
»Und Ihre beiden Leibwächter?«
»Ken? Zach?«, wandte er sich an seine Beschützer. »Habt ihr die Brücke gesprengt?«
Die beiden schüttelten gleichzeitig mit dem Kopf.
»Sehen Sie?«, fuhr Kumar fort. »Von uns war es keiner. Wäre auch ziemlich dumm. Die Brücke war das Einzige, was hier was wert ist.«
»Warum?«
»Einzelbungalows? Platz für maximal hundertfünfzig Gäste? Das ist echte Verschwendung. Wenn ich die Insel habe, lasse ich stattdessen ein paar mehrstöckige Gebäude mit kleinen Zimmern errichten. Die Gäste sind ja ohnehin immer draußen. Die Felsenlandschaft da in der Mitte kommt weg. Da baue ich eine große Bar. Aber die Brücke? Die war einmalig.«
Harry lehnte sich vor: »Na, aber so ein Skandal …«
»Wenn ich einen Skandal wollte, würde ich dafür sorgen, dass sich jemand in den Schmugglerhöhlen verläuft. Oder ertrinkt.«
»So wie dieser Mandeibel gestern?«, fragte Katharina.
»Was? Wer?«
»Einer von den beiden Männern, die Sie von Ihrem Tisch vertrieben haben.«
»Ach, ist davon einer ertrunken?« Der dicke Inder konnte seine Schadenfreude nicht ganz verbergen.
»Ja. In seiner Toilette. Wussten Sie das nicht?«
»Nein. Woher denn?«
»Und Ihre Männer haben da natürlich nicht nachgeholfen?«
»Ken? Zach? Habt ihr jemanden in seiner Toilette ertränkt?« Wieder vereintes Kopfschütteln.
»Sehen Sie?«, fuhr Kumar fort. »Ich habe so etwas nicht nötig, egal, was Sie gehört haben.«
Und damit nahm er sein Buch wieder auf. Er betrachtete das Gespräch wohl als beendet. Was sollten Harry und Katharina ihn auch sonst noch fragen? Sie würden abprallen wie an einer Gummiwand.
Als sie den Zaun zum Gehege schon fast wieder erreicht hatten, hörten sie plötzlich das Lachen des dicken Inders laut zwischen den Felsen hallen: »In der Toilette ertrunken! Wie dumm muss man dazu sein!«
Sunset Special
Augustin hatte sich mit dem Abendessen alle Mühe gegeben, aber niemandem hatte es so richtig schmecken wollen. Die meisten Teller waren halb leer abgetragen worden.
Die Gäste blieben an ihren Tischen sitzen, noch nicht willens, ins Bett zu gehen, aber letztlich nicht zu viel mehr fähig, als schweigend auszuharren oder leise zu tuscheln. Auch an Katharinas Tisch herrschte eisige Stille. Sandra Herbst hatte darauf bestanden, dass Katharina sich zu ihr und Andreas Amendt setzte. Jetzt schwiegen sie sich alle drei an und vermieden jeden Blickkontakt.
Augustin trat auf das Podest. Als er sprach, war seine Stimme die des geübten Sängers, warm und voll: »Es ist immer traurig, einen Menschen zu verlieren«, begann er. »Doch wir auf Mafia Island haben einen Brauch. Wenn ein Mensch von uns geht, dann feiern wir ein Fest für das Leben. Wir singen, wir tanzen, wir erzählen Geschichten, bis die Sonne wieder aufgeht. Und wenn jemand etwas beitragen möchte …«
Katharina verschluckte sich beinahe an ihrem Mineralwasser: Augustin hatte soeben den ohnehin geplanten JeKaMi-Abend eingeläutet.
Die Angestellten brachten Instrumente: Trommeln, traditionelle Saiteninstrumente und sogar eine elektrische Gitarre mit einem kleinen Verstärker. Sie spielten und sangen ein getragenes, trauriges, mehrstimmiges Lied.
Allmählich wurde das Lied schneller, fröhlicher. Katharina hatte die deutsche Begeisterung für ethnische Musik nie so recht verstehen können, aber hier, an diesem Ort, in dieser Stimmung, entfalteten die Klänge eine beinahe hypnotische Wirkung. Ihre Füße begannen unwillkürlich, im Takt mitzuwippen.
Sie sah sich um.
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