African Boogie
Antwort. Sie drückte die Klinke herunter. Es war nicht abgeschlossen. Vorsichtig schob sie die Tür auf. Sie wusste schon, was sie sehen würde, noch bevor sie den Lichtschalter ertastet hatte. Den Geruch nach schwerer Süße, nach Moschus und nach altem Fleisch erkannte sie sofort. »Javier? Tun Sie mir den Gefallen und holen Harry?«
Der Priester, der gemeinsam mit Andreas Amendt und Sandra Herbst darauf bestanden hatte, sie zu begleiten, eilte davon. Katharina tastete behutsam nach dem Lichtschalter. Mit der Spitze ihres kleinen Fingers betätigte sie ihn.
Das weiche Licht der indirekten Beleuchtung half nicht, den Anblick zu beschönigen: Die Breughers lagen auf dem Bett. Nackt. Tot. Ihre Körper fingen bereits an, sich zu verfärben, ihre Bäuche waren aufgequollen. In der schwülen Hitze, die den ganzen Tag über geherrscht hatte, dauerte es nicht lange, bis der Verwesungsprozess einsetzte. Das helle Licht hatte einige große Fliegen aufgescheucht, die jetzt brummend durchs Zimmer schwirrten.
Katharina betrachtete die beiden Toten. Die Szene war … ruhig. Beinahe friedlich. Sie lagen dort eng umschlungen, als wären sie nach sehr befriedigendem Sex Arm in Arm eingeschlafen. Ihre Gesichter waren entspannt, ihre Augen geschlossen.
Andreas Amendt beugte sich über die Toten, hob behutsam die Augenlider, zog vorsichtig ihre Lippen auseinander, roch daran. Plötzlich richtete er sich auf und sah in den kleinen Kamin, der zur Ausstattung der Bungalows gehörte. Er wischte über den Boden der Feuerstelle.
»Was ist?«, fragte Katharina.
»Meine erste Idee war Kohlenmonoxid-Vergiftung. Sie haben den Kamin angemacht, sich geliebt, sind eingeschlafen und finito. Aber der Kamin ist unbenutzt. Und eigentlich ist diese Architektur zu gut durchlüftet.«
Katharina beugte sich über die Leichen: »Sie haben auch nicht die typischen kirschroten Verfärbungen an den Lippen.«
»Die hätten durch die schnelle Verwesung schon wieder verschwunden sein können. Aber … Schauen Sie mal!«
Er deutete auf den kleinen Schreibtisch, der in einem Erker verborgen war. Auf dem Tisch standen eine kleine, leere Sektflasche, zwei Sektgläser sowie zwei größere Gläser mit einem milchigen Bodensatz. Andreas Amendt nahm eines auf und roch daran. Dann stellte er es wieder ab und begann damit, das Zimmer schnell und systematisch zu durchsuchen. Er sah in den Papierkorb, blickte ins Bad, öffnete und schloss die Schränke. Schließlich zog er die Schublade am Schreibtisch auf: »Ah da! Wusste ich es doch.«
Er deutete auf die Tablettenpackungen und leeren Blisterriegel, die in der Schublade lagen: »Chloroquin, ein Malaria-Mittel. Diazepam, ein starkes Beruhigungsmittel. Und das da …«, er nahm ein kleines braunes Fläschchen in die Hand, »Paspertin. Ein Mittel gegen Erbrechen.«
Malariamittel, Schlafmittel und ein Mittel gegen Erbrechen. »Suizid?«, fragte Katharina.
»Geradezu klassisch. Wie von den Websites von Sterbehilfe-Organisationen.«
Katharina betrachtete wieder die beiden Toten. Selbstmord? Immerhin hatten sie den JeKaMi-Abend, auf dem sie sich so unsterblich blamiert hatten, ziemlich aufgelöst verlassen. Aber …
»Die Medikamente? Die scheinen das im Voraus geplant zu haben, oder?«
»Nein. Nicht unbedingt«, erklärte Sandra Herbst, die bisher abwartend an der Tür gestanden hatte. »Malariamittel und Paspertin gehören eigentlich in jede Reiseapotheke für Afrika.«
»Und das Beruhigungsmittel?«
Andreas Amendt zuckte mit den Schultern: »Es gibt Ärzte, die verschreiben solche Pillen wie Bonbons.«
Katharina ging nachdenklich um das Bett herum. Etwas fehlte. Ein Abschiedsbrief. Vielleicht in der Nachttischschublade?
Doch darin lag nur der große Umschlag, den die Breughers bei der Ankunft erhalten hatten. Katharina nahm ihn und zog vorsichtig den Inhalt heraus. Ein Prospekt von Golden Rock, eine kleine Broschüre zu Mafia Island und ein von einem Heftstreifen zusammengehaltenes Manuskript. »Reif für die Insel, Pilotfolge« stand auf der Titelseite. Katharina blätterte mit dem Daumen die Seiten durch. Zwischen ihnen streckte ein Brief, den sie öffnete und überflog: Die 1219 Romans Filmproduktion GmbH gratulierte Daniel Breugher zu seiner neuen Hauptrolle in »Reif für die Insel« und wünschte ihm viel Vergnügen bei der Location-Recherche.
Offenbar war er doch erfolgreicher, als sein Talent vermuten ließ. Beruflich motiviert war der Selbstmord sicher nicht. Oder doch? Vielleicht der
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