African Queen
zu liegen und trotzdem Luft zu kriegen? Dann hat dieses ewige Bestreben die Nase nach vorn gezogen, dann hat es das Krokodil selbst gemacht. Wahrscheinlich stimmt beides. Gott ist mit den Tüchtigen. Die entscheidende Frage aber ist:
Was bedeutet das alles für mich?
An einem Strand auf Madagaskar würde ich sagen, dass ich kein Krokodilsmörder bin, nicht mal indirekt, denn ich habe nie ein Krokodil als Stiefel, Gürtel oder Krawatte getragen. Aber an einem Strand am Malawisee zählt das vielleicht nicht. Da zählt nur die empirische Wissenschaft, Abteilung Zoologie, und die gibt Collin zunächst recht. Krokodile jagen nur nach Anbruch der Dämmerung. Aber wer sagt mir denn, dass die Evolution nicht schon wieder was Neues in Arbeit hat? Ein Krokodil, das seine Möglichkeiten erweitern will und es auch mal am Tag versucht? Die Chance, dass ich diesem historischen Entwicklungssprung als Opfer beiwohnen darf, ist angeblich äußerst gering, trotzdem macht mir das Schwimmen gerade nicht so viel Spaß. Es braucht drei Tage, bis ich mich nicht mehr vor meinem eigenen Schatten im Wasser erschrecke. Danach erschrecke ich mich nur noch vor den großen Steinen, die am Boden des Sees liegen und deren Farben und Muster denen eines Krokodils recht ähnlich sehen. Dieses mal dunkle, mal helle Grün, diese Furchen und Narben und oft auch diese krokodilähnlichen Formen in einem oder anderthalb Meter Tiefe machen mir zu schaffen. Zuerst haue ich ab, aber das bringt nichts, weil hier viele von den Steinen liegen und es durchaus einen Unterschied zwischen Wassersport und Fluchtreflexen gibt. Die Alternative ist, nicht mehr zu schwimmen. Oder sich zu ermannen und zu jedem dieser Steine hinunterzutauchen, um sie näher kennenzulernen und zu kartographieren. Eine Pionierarbeit, wenn man so will. Ich erstelle eine Karte mit Steinen, die im Wasser Krokodile zu sein scheinen, aber keine sind. Das hilft ein bisschen.
Derweil arbeitet sich Lisa ein. Collin hat ihr als Erstes das Management der Küche übertragen. Sie muss Vorratslisten kontrollieren, Kühltruhen inspizieren und Menü-Abfolgen festlegen. Einem Koch, der noch nie von Wien gehört hat und Austria für Australien hält, bringt sie Wiener Schnitzel und Palatschinken bei. Und mit den Kellnern macht sie Table-Training. Wie speist man in Schönbrunn? Wo liegt das kleine Messer? Und wo das große? Und wo liegt die Gabel? Rechts oder links vom Messer? Rechts oder links vom Teller? Die Kellner, die privat nur mit den Händen essen, sind mit großem Ernst dabei. Für sie sind das keine Tischsitten, sondern Rituale eines fremden Stammes. Afrikaner haben mit Ritualen prinzipiell wenig Probleme. Jede Voodoo-Zeremonie ist komplizierter. Wo liegt der kleine Knochen und wo der große? Und wo das Hühnerköpfchen? Links oder rechts vom Totenschädel? Die Kellner glauben an Geister und an die Möglichkeit, sie zu bannen, deshalb lernen sie schnell die Magie der silbernen Bestecke, und auch der Rest der Etikette leuchtet ihnen ein. Warum immer von rechts serviert wird? Weil links vom Gast die hungrigen Dämonen hocken. Die einzige Regel, die ihnen der Geisterglaube nicht erklärt: dass Frauen immer als Erste zu bedienen sind. Das kriegt Lisa bei ihnen nicht durch.
Auch mit den Bauern, die acht Stunden lang durch den Busch gelaufen sind, um ihr zweihundert Kilo Tomaten zu verkaufen, hat sie Probleme. Sie schafft es einfach nicht, ihnen zu sagen, dass sie keine zweihundert Kilo Tomaten braucht. Ergebnis: Tomaten werden zu einem großen Thema in der Küche. Tomatensalat, Tomatensuppe und Tomatensaft zum Frühstück bauen den Berg aber noch nicht hinreichend ab, erst mit der Massenproduktion eines Tomatencocktails gelingt das. Bloody Mary rettet Lisa aus dem Schlamassel. Aber die Frage bleibt: Wie ist sie in den überhaupt hineingeraten? Was war ihr Fehler? Ihre Gutmütigkeit? Oder ihre Unsicherheit? Konnte sie die Bauern mit den Tomaten nicht wieder in den Busch zurückschicken, weil sie ein zu großes Herz hat? Oder ein zu ängstliches? Das sind wichtige Fragen in Afrika. Will sie geliebt werden?
Collin will Respekt. Und er macht das nicht schlecht. Er schreit nicht, er tobt nicht, er bleibt höflich, auch wenn sein Blut vor Wut kocht. Seine Peitsche ist die penetrante Kontrolle, Misstrauen sein Kapital. Er würde es nicht Misstrauen nennen, sondern Erfahrung, er weiß, was die Mitarbeiter der Lodge draufhaben und was nicht. Fleiß haben sie drauf. Aber nicht als zweckfreie moralische
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