African Queen
trotzen, ist einem Kater gewichen. Heute ist Fliegen im besten Fall langweilig und tut im schlechtesten Fall weh. Eine Droge ist zu kaltem Kaffee mutiert, ein Spaß zu Pein. Fliegen ist wie U-Bahn-Fahren geworden, jenseits der Fensterplätze sieht man in den großen Maschinen auch nicht mehr als in den unterirdischen Tunneln daheim. Hin und wieder ruckelt es, und das soll’s dann gewesen sein? Die Buschpiloten sagen, nein, mit uns fliegst du wieder. Unsere Tragflächen sind so klein und dir so nah, dass du glaubst, sie wären aus deinen Seiten gewachsen. Wir geben dir die Flügel zurück, die Wolken, den Wind und auch den Blick, den die Vögel haben, die Adlerperspektive auf die Wälder und die Tiere, auf die Flüsse und Wasserfälle, auf die Einbäume der Fischer, auf die Herden der Hirten und auf die Feuer, die vor den Hütten brennen, denn wir fliegen nicht in einsamen zehntausend Metern Höhe, sondern so tief, wie es uns gefällt. Und wir düsen auch nicht, von Computern programmiert, auf schnurgeraden Routen, wir lenken selbst und gern in launigen Kurven. «Willst du auch mal lenken, Lisa?», fragt der Pilot. Weil sie das ablehnt, landen wir knapp eine Stunde später sicher auf dem Internationalen Flughafen von Lilongwe.
Lisa bekommt ihr Visum, und rein theoretisch könnten wir jetzt mit einem Kollegen von Ferenc gleich wieder nach Likoma Island fliegen und von dort in die Lodge schippern, aber Collin hat ihr zwei Tage freigegeben. Sie freut sich auf das «Kiboko Town Hotel», sie freut sich auf Don Brioni, und ganz allgemein freut sie sich darauf, wieder mal selber Gast zu sein. Ich freue mich auch. Endlich mal Lisa und ich ganz allein. Ohne das ewige Collin braucht das, Collin will dies, Collin hat gesagt. Drei Tage als sich selbst genügendes Paar, so wie es vor der Lodge mal war. Aber kaum schlägt sie im Hotel ihren Laptop auf, ist eine Mail von Collin da. Er will, dass sie zwei klitzekleine Schrauben für den Bootsmotor besorgt, die eine anderthalb und die andere dreieinhalb Zentimeter lang. Fotos von ihnen hat er auch mitgeschickt. Prinzipiell ist das eine gute Idee. Ich habe zweimal auf dem Boot der Lodge gesessen, als es nicht weiterging. Trotzdem werde ich langsam nöckelig. Wir sind den Rest des Tages von Pontius Yamaha bis Pilatus Honda unterwegs und kriegen die Teile nicht. Und wieder einmal frage ich mich still und heimlich, wie lange ich Lisa eigentlich noch auf Wegen begleiten soll, die nicht die meinen sind. Noch einen Monat, sagt sie, dann verschwinden wir aus der Lodge, und ich denke, wenn das mal stimmt. Außerdem denke ich, noch dreißig Tage sind zu viel. Es ist ein seltsames Gefühl, im Niemandsland meines Schicksals herumzugehen. Endlich kann ich die Frauen und ihre Probleme verstehen, die für einen Mann ihr Leben liegen und stehen lassen. Ich tauge nicht zu einem Anhängsel, ich bin kein Teddybär, ich will das nicht mehr, aber die Kraft, mich einfach umzudrehen, habe ich auch nicht. Der Anlass fehlt, die Chance. Darum schlägt die Mail, die ich am Abend bekomme, wie ein Blitz in unsere Zweisamkeit ein. Eine große deutsche Zeitung fragt mich, ob ich für sie einen Job in Burkina Faso machen will. Christoph Schlingensief ist vor einer Woche an Lungenkrebs gestorben. Sein letztes Projekt war der Bau einer Oper in dem westafrikanischen Land, und ich soll hin, um nachzusehen, was aus der Baustelle des Künstlers geworden ist. Ich entscheide mich auf der Stelle, den Job anzunehmen. Und Lisa flippt aus.
«Das ist nicht dein Ernst!»
«Warum nicht?»
«Weil es Wahnsinn ist. Weißt du, wie weit Burkina Faso von hier entfernt ist? Weiter als von Deutschland. Die ticken doch nicht richtig. Die haben keine Ahnung. Die sagen, die Oper ist in Afrika, du bist in Afrika, und das war’s. Nein, Helge, das machst du nicht.»
«Natürlich mache ich das», sage ich und schlage zum ersten Mal, seitdem wir uns kennen, energisch mit der flachen Hand auf den Tisch. «Das ist mein Leben, verdammt noch mal. So ist es immer gewesen.»
Was war immer so? Immer rief ein Chefredakteur an, und am nächsten Tag saß ich in einem Flieger nach irgendwo, nach Tokio, Tel Aviv oder Pjöngjang, und die Jagd nach einer Geschichte begann. Hunting Season. Und strikte Deadlines. Das macht mich an. Die Freisetzung von Adrenalin, das Geld, die Herausforderung, da kommt vieles zusammen. Ich bin ein Reportagenjunkie. Ich blühe auf unter Stress. Und gehe ein am Strand. Lisa hat keine Chance, wenn das Jagdhorn ruft, weil
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