African Queen
wütend, ich ärgere mich schwarz über mich. Anfänger! Esel! Blöder Tourist! Goldhäschen, Volltrottel, Europäer! Das schlechte Gewissen der exkolonialen Rasse zollt Leuten Respekt, die absolut keinen Respekt vor mir haben. Ich kenne das seit dreißig Jahren. Wie lange muss ich noch reisen, um darauf nicht mehr reinzufallen? Vergiss es, schwör dir nichts, sonst ärgerst du dich beim nächsten Mal noch mehr als jetzt. Was du jetzt brauchst, sind keine guten Vorsätze, sondern ein Drink.
«Black President». Schöner Name, schöne Bar. Die einzige am Strand von Ngor und direkt neben meinem Hotel. Ich hatte sie bereits gesehen, als ich zu dem Spaziergang aufgebrochen war, aber ich trinke vor Sonnenuntergang keine Sundowner, weil das Unglück bringt. Aberglaube unterscheidet sich vom rechten Glauben nur unwesentlich, was den ihm innewohnenden Unsinn angeht. Hätte ich vor einer Stunde die Bar betreten, stünde ich jetzt sicher mit besserer Laune da. Ich habe noch etwas Geld in der Tasche. Ich zähle es auf der Treppe, die zur Terrasse führt. Als ich hochblicke, sehe ich in die lustigen, leicht geröteten Augen eines Mannes in meinem Alter, dessen T-Shirt mit Farben bekleckert ist. Auch in seinem Bart ist Farbe, ebenso an seinen Händen. Die Luft vor seiner Stirn scheint ein wenig zu flirren, wie bei allen großen Lügnern, und ich denke, das liegt an den elektromagnetischen Impulsen ihrer kreativen Gehirne. Das ist es also nicht, was ihn so anders macht als alle anderen hier. Auch nicht, dass er mir ein Bier ausgibt, statt nach einem zu fragen. Was den Maler so einzigartig macht, ist seine Begrüßung. Er sagt nicht «Ça va?». Er sagt etwas in Wolof, der alten Sprache Senegals:
«Say say moy xam say say.»
«Was heißt das?»
«Die Gauner erkennen die Gauner.»
«Ach, dann bin ich doch ein ehrlicher Mensch.»
«Ich heiße Kamphel», sagt er und lacht.
Kamphel malte zunächst mit Gewürzen, Marmeladen und Soßen auf dem Küchenboden, bis seine Mutter ihm Papier und Farben gab. Sie hätte ihm auch einen Pinsel gekauft, aber er hatte sich auf dem Boden an eine Technik gewöhnt, für die man keinen Pinsel braucht. Kamphel malt mit den Fingern, auch mit der ganzen Hand, und sein Thema fand er dreizehn Jahre später, als er so um die zwanzig war, an der Elfenbeinküste, nachts, an einem Strand. Er wollte dort schlafen und kiffen, doch aus dem Schlafen wurde nichts mehr, weil ein Lastwagen kam und Leichen abwarf. Der Lastwagen fuhr wieder weg, aber Kamphel kiffte die Nacht mit den Toten, und seitdem malt er Geister in kräftigen Farben und großen Mengen. Seine Produktionsphilosophie, um nicht zu sagen: seine Mission, ist die Versöhnung von Qualität und Quantität; für das Erste sorgt er, für das Zweite seine Schüler, deren Werke er mit seinem Namen signiert. Kamphels Bilder hängen überall in den Restaurants und Bars von Ngor, auch das «Black President» ist wie eine Galerie für ihn. Die Bar ist klein, da passt nicht viel Kunst rein, darum hängen die Bilder auch an dem Geländer der Terrasse und an einer Mauer nebenan sowie an ihm selbst und einigen Touristen hier am Strand. Denn er bemalt auch T-Shirts, das heißt, ich habe mich geirrt, seine Kleidung war nicht bekleckert, sondern Kunst. Waschfest, wie er beteuert, und abstrakt, auf den Textilien haben seine Geister keine Gesichter, keine Körper, keine Form, hier erstellt Kamphel mit Linien, Bögen und Irrlichtern lediglich das Bewegungsprofil der Unsichtbaren.
Ich kaufe vier Stück davon für dieselbe Summe, um die mich die Fake-UNESCO betrogen hat, und fühle mich trotzdem nicht ausgeraubt. Helfen kostet, Kunst kostet, Freundschaft kostet. Sie gleicht Höhen und Tiefen aus. Ich habe zu viel Geld und er zu viel Glück. Kamphel ist pleite und gut drauf, egal, ob nüchtern, besoffen oder bekifft, aber kann er es sich aussuchen, bevorzugt er Alkohol als Mutterschiff seiner Sorglosigkeit. Freundschaft ist ein großes Wort, Reisefreundschaft ein etwas kleineres und Freundschaft unter Reisenden wieder ein größeres. Sie ist kurz, aber intensiv. Wenn Wege sich finden, wenn Strände sich kreuzen, wenn man trotz unterschiedlicher Kultur, Rasse und Einkommensklasse einen Bruder im Geiste entdeckt, einen Verbündeten auf Zeit, den man nie wieder vergisst, dann ist es eine Freundschaft unter Reisenden. So hoch lege ich aber die Latte bei Kamphel nicht. Eine Reisefreundschaft würde mir schon reichen. Ein Saufkumpel unter Palmen, unter Sternen, am Feuer.
Es
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