African Queen
sauberes T-Shirt, schwarze Lederschuhe. Ein Intellektueller. Ein ganz normales Mitglied der senegalesischen Mittelklasse. Ein Journalist, ein Programmierer, ein Lehrer, und so etwas Ähnliches ist er dann auch. Er sagt – in gutem Englisch –, er arbeite für die UNESCO an einem Projekt im nahe liegenden Fischerdorf. Es gibt zwei Zauberwörter in Afrika. Das eine ist UN, das andere UNESCO. Der Zauber dieser Wörter besteht darin, dass du sofort interessiert bist. Der lange Arm der Weltgemeinschaft berührt dich, der Atem der vereinten Humanen. Ich will den Ball flach halten, trotzdem muss ich sagen, dass diese Zauberwörter wie Drogen funktionieren. Sie verändern das Bewusstsein. Die Identität. Vorher Tourist, jetzt Helfer. Vorher Saulus, jetzt Paulus. Vorher ein Mensch, der zu schnell geht, jetzt einer, der stehen bleibt. Und zuhört.
Sein Name ist Ousman. Und Ousman sagt, das Quartier, das den Strand begrenze, sei ein Pilotprojekt. Die UNESCO wolle hier mal versuchen, die alten sozialen Strukturen eines afrikanischen Fischerdorfes zu erhalten. Denn in Europa mache der Staat seinen Job, im Senegal nicht. Die Polizei sei faul, die Behörden korrupt, also brauche es einen Ältestenrat, der die Probleme löse und bei Konflikten zu Gericht sitze. Es brauche auch einen Kindergarten, in dem sich die Mädchen des Dorfes als Kindergärtnerinnen abwechselten, und es brauche Fischer-Kooperativen, die Boote bauen und kranken Fischern etwas von ihren Fängen abgeben. Es brauche also das alte Afrika, solange das neue versage, und sein Job bei diesem Projekt sei die PR. Er zeige Touristen, die das wünschen, gern, wie das funktioniert.
Ein Haufen toter Fische glotzt mich an. Oder glotzt mich der Tod durch die Fische an? Große Fische, einen Meter lang und länger und einen halben Meter dick. Schwarz glänzend und frisch gefangen, konfrontieren sie mich mit meinen Urängsten. Soweit ich mich zurückerinnern kann, hat der Anblick von toten Tieren einen Schock in mir ausgelöst. Einen ganzheitlichen Ekel, der Magen, Herz und Kopf gleichzeitig umdreht. Mein Nervensystem reagiert mit Panik und droht zu kollabieren. Diese Reaktion ist nicht natürlich, ich weiß und akzeptiere, dass der Tod zum Leben gehört, wie die Geburt. Spirituell habe ich nicht einmal mit meiner eigenen Endlichkeit ein Problem. Aber das ist alles nur Theorie. Praktisch will ich mich auf keinen Fall als Leiche im Spiegel sehen. Tote Vögel, tote Ziegen, tote Katzen, tote Hunde – was immer in Afrika am Wegesrand liegt oder an Haken hängt, versuche ich zu umgehen. Am schlimmsten ist es mit toten Fischen. Weil sie so schnell zermatschen und trotzdem weiterglotzen, bis auch das Auge verwest. Eine noch fürchterlichere Wirkung haben abgebissene, abgeschnittene, abgerissene und in den Dreck geschmissene Fischköpfe auf mich, entehrte Schöpfung, von Gott vergessen, ich könnte mich übergeben bei dem Anblick. Noch einmal, ich weiß, dass ich hier völlig falsch ticke, ich weiß, dass es keine gesunden Reaktionen sind, sondern in höchstem Maße neurotische, aber es sitzt zu tief in mir drin und zu lange, als dass das Problem therapeutisch zu lösen wäre. Stattdessen sehe ich weg, und wenn das nicht geht, weil zu viel Tod um mich herum ist, suche ich Fluchtpunkte für meine Blicke und versenke mich in die schönen Dinge des Fischerlebens, wie zum Beispiel in die satten Farben der Pirogen. Rot, blau, weiß, schlank und lang wie ein Kanu. Es gibt kleine Pirogen, sehr große Pirogen und mittelgroße Pirogen, und jedes dieser Boote ist, wie Ousman sagt, aus nur einem Baum herausgeschnitzt. Ich glaube ihm.
Wir sind inzwischen am zweiten, am Strand des Dorfes angelangt, und meine Blicke saugen alles auf, was nicht Fisch ist. Die Ziegen und Schafe, die Fischreste fressen, die schönen Frauen, die Fische teilen, die Muskeln und Narben der Fischer, den rauen Stolz ihrer Gesichter, das blaue Meer zur blauen Stunde, und plötzlich ist – «Ça va?» – noch ein zweiter UNESCO-Mitarbeiter da, dessen Namen ich aber sofort vergesse. Auch er trägt, wie Ousman, eine Brille, hat aber nicht ein so nettes Gesicht. Er geht, nachdem wir in das Labyrinth der Gässchen eingebogen sind, hinter mir, während Ousman mich führt. Die Gassen von Ngor-Village sind schmal und dunkel und erfüllt von lauten, tiefen Stimmen, die hinter den Mauern der Häuser und Höfe miteinander streiten, Kinder in der unangenehmen Größe, also größer als niedlich, doch zu klein für friedlich, lachen
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