African Queen
LISA! Und damit steht es wieder 3 : 3.
Bei diesem Spielstand fliegt endlich der Lufthansa-Kapitän ein. Am Morgen des nächsten Tages ruft er mich an, sehr früh, für meinen Geschmack. Pilot zählte zu meinen Traumberufen als Kind, und noch heute mystifiziere ich Flugkapitäne irgendwie als Halbgötter, obwohl mir natürlich klar ist, dass auch sie scheißen müssen. Dazu kommt der Mythos, die Lufthansa ist immer noch der Mercedes unter den Fluggesellschaften. Ein Lufthansa-Kapitän ist für mich die absolute Autorität. Wie ich seinen Mails entnehmen kann, geht es ihm mit meinem Job ähnlich. Des Piloten Traumberuf war Reiseschriftsteller. Das Treffen verspricht ein fruchtbares Aufeinanderprallen von Träumen zu werden. Ich halte ihn für seriös und er mich für einen Abenteurer. Ach ja, ich nannte seinen Namen noch nicht. Für Facebook-Freunde ist er Diego.
Werden wir bald richtige Freunde sein? Der Unterschied ist klar. Facebook-Kumpels wissen voneinander, welche Filme, Bücher und Musik sie mögen, und über die religiöse und politische Einstellung des anderen sind sie auch umfassend informiert. Was Facebook-Freunde allerdings nicht voneinander wissen, ist, ob sie sich, zum Beispiel, sympathisch sind. Kann man sich riechen, mag man die Stimme, stimmt die Chemie? Werden der Lufthansa-Kapitän und der Reiseschriftsteller den Reality-Check bestehen? Oder werde ich einen Leser verlieren?
Wir treffen uns am Privatstrand eines Fünfsternehotels, das den Mitarbeitern von Lufthansa einen Rabatt von fünfzig Prozent gewährt, und ich erkenne Diego, der keine Uniform, sondern eine Badehose trägt, sofort an der Piloten-Sonnenbrille. Als er sie abnimmt, bricht schon mal das erste Klischee weg. Der Lufthansa-Kapitän hat ein fettes blaues Auge, frisch geschlagen.
«Treppe runtergefallen?», frage ich.
«Nee, das ist beim Squash passiert.»
Diego ist kleiner, jünger, trainierter und vor allem härter als ich, aber was habe ich erwartet? Piloten arbeiten zu hundert Prozent mit ihrer linken Gehirnhälfte, Dichter mit der rechten. Piloten müssen Computer bedienen, Dichter Musen. Piloten denken gerade, Dichter in Kurven. Piloten dürfen während der Arbeit keine Drogen nehmen, Dichter müssen das. Piloten wachen, Dichter träumen. Obwohl sie auf derselben Strandterrasse sitzen, die gleiche Luft atmen und die gleichen Getränke zu sich nehmen, leben sie in völlig verschiedenen, mehr noch, in entgegengesetzten Welten. Das führt dazu, dass sie den jeweils anderen gleichzeitig bewundern und verachten, beneiden und bemitleiden, lieben und hassen. Und das würde ihre Kommunikation eigentlich unmöglich machen, wäre da nicht diese fabelhafte Neugierde auf die Geheimnisse der anderen Welt. Ich will von Diego die Wahrheit über alle spektakulären Abstürze der letzten Jahre erfahren, und er will wissen, ob meine Geschichten erstunken und erlogen sind. Seine Antworten sind off the record, meine auch. Und Afrika? Sein Tipp: Wenn du in einer Gruppe vor einem Löwen wegläufst, kommt es nicht darauf an, der Erste zu sein, sondern schneller als der Letzte. Den Letzten fressen die Löwen, der Erste verausgabt sich ohne Grund. Die größte Effizienz beweist der Vorletzte, denn er erzielt ein optimales Ergebnis bei minimalem Kraftaufwand. So denken Piloten, und wie denke ich? Nichts wie weg!
Später machen wir einen Spaziergang. Obwohl Diego Dakar viel besser kennt als ich, lässt er sich von mir führen. Das ist sein Programm. Sein Test. Wie findet sich ein Reiseschriftsteller in einer fremden Stadt zurecht? Wohin geht er? In welche Straße traut er sich, in welche nicht? Ist er so, wie er sich beschreibt, oder ist das «Ich» in seinen Büchern eine Chimäre? Das sind im Wesentlichen Diegos stumme Fragen, und ich nehme sie ihm nicht übel, an seiner Stelle würde ich es genauso machen, trotzdem ist das natürlich lästig. Wir erreichen den unasphaltierten Teil des Straßennetzes von Dakar, der ungleich größer ist als der asphaltierte. Die meisten Straßen sind ein Staub-Erde-Abfall-Gemisch mit Schlaglöchern und Spurrillen, in die sich Schmutzwasserbäche ergießen und noch etwas träge weiterfließen, bevor sie zu stehendem Schmutzwasser werden, zu Tümpeln der Fäulnis und des Verderbens in den Farben Uringelb und Kotbraun, mit blutroten Schlieren hier und da. Dazu mischen sich pechschwarzes Altöl und die Farbnuancen der Kadaverreste totgefahrener Katzen, Hunde und Esel. Ach ja, ich vergaß die Plastiktüten. Irgendwo in
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