African Queen
diesem Universum muss ein Plastikplanet explodiert und als Tütensupernova über dieser Stadt heruntergegangen sein. Und wenn ich nun gefragt werde, nach welchen Kriterien ich mich in diesem Labyrinth schlecht imitierter Zivilisation entscheide, in die eine Straße zu gehen und in die andere nicht, muss ich gestehen, dass ich hier keinen Entscheidungsbedarf sehe, denn das ist mir scheißegal.
Der Lufthansa-Kapitän stimmt dem zu, aber als ich über die Gründe für den Zustand der Straßen in Dakar zu spekulieren beginne, wird er wütend. Für mich sind das Spätfolgen der Sklaverei, er nennt Korruption, Faulheit und Fatalismus als Ursachen. Ich sehe darin keinen Widerspruch zu meiner These. Die Sklaverei bricht die Seele und das Rückgrat eines Volkes über Generationen. «Diesen Schuh zieh ich mir nicht an», ruft Diego. «Die Sklaverei gab es in Afrika unter Afrikanern lange, bevor die Weißen kamen. Und die weißen Sklavenhändler waren auch nicht grausamer als die schwarzen, sondern einfach nur besser organisiert. Die schlimmsten waren sowieso die Araber, die haben das tausend Jahre gemacht und nicht dreihundert wie die Europäer.» – «Ist das wahr, Diego?» – «Ja.» – «Ich brauch also kein schlechtes Gewissen zu haben?» – «Nein.» – «Na, wenn’s so einfach wäre.»
Dann fahren wir mit einem Taxi zum «St. Louis Sun», und das ist mein Programm. Mein Hangout für den Nachmittag im Herzen der Stadt, gleich um die Ecke vom französischen Kulturinstitut, der «Black & White Bar» und dem Restaurant «Hanoi». Essen sollte man besser bei den Franzosen, für den Konsum anspruchsvoller Weine und Spirituosen gilt das auch, selbst der Kaffee im Institut Français ist um Welten besser als der im «St. Louis Sun», aber ein schlechtes Heißgetränk in guter Atmosphäre hält man locker aus. Zwei große Palmen beschatten den Innenhof des Zweisternehotels, das matte Gold der Nachmittagssonne fällt in Tropfen auf den schwarz-weiß gekachelten Boden und auf die großen ovalen Plastiktische, an denen dicke Männer in langen Gewändern sitzen und auf halblang machen, also ihr Bier weitertrinken, während der Muezzin singt. Obwohl sie Moslems sind. Der Islam im Senegal ist megaliberal. Darüber hinaus gibt es viele Senegalesen, die Eltern mit unterschiedlichen Konfessionen haben, Vater Christ, Mutter Muslimin oder umgekehrt, und die Kinder dieser Paare sind mal dies und mal das. Wie es gerade passt. Wenn sie Alkohol trinken wollen, passt Christ.
Ich sitze in dem Patio mit Blick auf ein Wandgemälde, Diego ist auf Toilette. Das Bild zeigt wieder einmal glückliche Frauen und glückliche Kinder vor glücklichen Hütten, und hinter den Hütten ist der Strand. Mir gefällt das Bild. Naiver Realismus in sonnengebleichten, regengewaschenen Farben. Das steht dem Blau von Himmel und Meer, das steht dem Gelb von Sand und Strand, das steht den bunten Kopftüchern der Frauen, und den Papageien steht es auch. Ohne die Verwitterung wäre das Wandgemälde nur halb so gut oder schlecht, aber der Zahn der Zeit hat den Kitsch herausgenagt.
Doch zurück zum Thema. Ich erwähnte es lange nicht. Weil es schon lange nicht mehr zugegen ist. Es hat sich heimlich ausgeblendet, so heimlich, dass nicht einmal ich es mitbekommen habe. Erst an diesem Tisch, vor diesem Bild und während Diego für kleine Kapitäne ist, fällt mir auf, dass alles anders ist als gestern und vorgestern, und zwar anders im Sinne von richtig, von normal. Das erklärt vielleicht auch, warum ich es so spät mitbekomme. Die Rückkehr in die Normalität wird selten spektakulär erlebt. Wie man die Dunkelheit vergisst, wenn das Licht an ist, habe ich Dede vergessen. Schalter an, Schalter aus, einfach so. Sie ist nicht mehr in meinem Bauch und nicht mehr in meinem Herzen, sie ist nicht mal mehr in meinem Kopf. Kein Mitleid, keine Liebe, kein schlechtes Gewissen. Ich bin frei. Und leicht. Alle Gefühle, die in den vergangenen Tagen wie Steine an mir hingen, die Mühlsteine zu werden drohten, haben sich in nichts aufgelöst. Um die Wahrheit zu sagen, es fühlt sich so an, als wären sie nie gewesen. Und sie werden nie wieder sein, ich weiß es genau. Es ist vorbei, und das ist eine verdammt gute Nachricht. Es gibt allerdings auch eine verdammt schlechte, und die hat mit der Antwort auf die Frage nach dem Warum zu tun. Warum ist das so? Was hat mich von den Gefühlen zu Dede befreit? Nur die Zeit? Oder könnte es tatsächlich sein –
Ich fasse unter mein Hemd, und
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