African Queen
auf keinen Fall Amulette. Häng dir bloß nichts um den Hals!» Liebe Hexe, ich hab’s verschissen. Aber ich mach es wieder gut. Sobald ich zurück im Hotel bin, schmeiß ich das Ding ins Meer. Hoffentlich kommt’s nicht wieder raus, wie weiland das Seeteufelchen. Ich liebe dunkle Märchen, aber ich liebe es gar nicht, wenn sie wahr werden. Ich weiß nie, ob ich der Held oder der Narr in diesem Märchen bin. Der Terminator oder der Trottel. Das heißt, manchmal weiß ich es schon. Wie der Terminator fühle ich mich gerade nicht. Ja, ich habe Angst vor dem Lederband.
Die Rückkehr in mein Zimmer verläuft zivil. Ich rase nicht rein, schnapp mir das Ding und werf es ins Meer. Nein, ich betrete den Raum, als sei nichts geschehen, ich sehe nicht mal hin, nur aus den Augenwinkeln gestatte ich mir einen Blick zum Schreibtisch, auf dem der Feuerzeughalter liegt. Ich gehe ins Bad und wieder raus, öffne den Kühlschrank. Wein oder Bier? Oder Rum? Ich entscheide mich für den Rum. Er passt bestens zum Anlass, Rum und Blut sind die Standardgetränke jeder Voodoo-Zeremonie. Vegetarier ersetzen das Blut durch Cola, aber ich mische nicht, ich will den Rum bienenrein auf meiner Zunge schmecken, es ist der beste Geschmack der Welt, er rinnt die Kehle runter wie bitterer flüssiger Honig, und schon ist alles gut.
Ich nehme das Geschenk von Dede. Ich halte es in der Hand. Soll ich es mir noch einmal umhängen, nur zum Test? Ich entscheide mich dagegen, aber ins Meer werfen will ich den ledernen Feuerzeughalter mit der kleinen weißen Muschel auch nicht. Es ist so ein schönes Stück. Ich leg ihn auf den Schreibtisch zurück und gehe ins Bett.
In der Nacht wache ich auf und sehe Geister.
Es stimmt nicht, dass sie unsichtbar sind. Und es sind unheimlich viele. Der Raum platzt aus allen Nähten. Schatten schwimmen an der Decke, so beweglich und schnell wie Delphine. Manchmal sieht es auch ein bisschen wie Geister-Kunstturnen aus, mit Dreifachsalto und Rolle rückwärts. Ich bin sicher, dass es Geister sind. Ich kenne ihre Bewegungsprofile von Kamphels T-Shirts. Ich stehe auf und bringe den Feuerzeughalter nach draußen. Mein Zimmer liegt direkt an der Terrasse. Da sind Tische und Stühle. Ich nehme den ersten. Ich hänge das Lederband über die Stuhllehne und versuche es noch einmal mit Schlafen. Es sind nicht alle Geister verschwunden, aber der Raum wirkt deutlich leerer.
11. DER MARABOUT
R uth Isenschmid ist kein Name aus dem Herrn der Ringe, obwohl sie charakterlich das Zeug für eine Figur aus dem Heldenepos hätte. Ihre Vorfahren haben Äpfel von den Köpfen ihrer Kinder geschossen und sich über die Jahrhunderte erfolgreich aller europäischen Großmächte erwehrt. Das steckt in ihr. In ihrem Namen auch. Isen heißt Eisen, und wer sich mit Ruth anlegt, beißt genau dadrauf. Seit nunmehr fünfzehn Jahren haben jede Menge Senegalesen vor Ruth kapituliert, und das Ergebnis ist eine Schweizer Burg in Dakar. Von ihren Fußböden kann man essen, an ihren Wandfliesen kann man lecken, ihre Bettlaken sind immer sauber.
Das Haus ist ein zweistöckiger Riad mit Innenhof und großer Dachterrasse. Von ihr hat man freien Blick auf den Strand von Parcelles. Der Stadtteil im Norden von Dakar ist im Gegensatz zu Ngor touristisch unerschlossen und die Infrastruktur ein bisschen verschlampt, hier sind fast alle Straßen nur aus Lehm und Sand, und schöne Häuser gibt es auch kaum. In Parcelles herrscht ein Rohbau-Chic, der sich aus der senegalesischen Bauherrenmentalität erklärt. Man fängt nicht erst mit dem Bauen an, wenn die Finanzierung für das gesamte Haus steht, sondern baut Stück für Stück, soweit das Geld gerade reicht. Als Folge davon sieht man in den Straßen und Gassen von Parcelles überall rohen Beton und wenig verputzte Mauern, und auch der Strand hat etwas von Rohbau an sich, nur Sand, schnurgerade und kilometerlang, ohne Getränkestände, Sonnenschirme, Liegestühle. Es gibt ein paar alte Autoreifen, auf die man sich setzen kann, und ein paar verwesende Tiere, und das war es im Wesentlichen.
Bis zum Nachmittag ist der Strand fast leer, ab 17 Uhr füllt er sich mit Hunderten jungen Männern aus dem Viertel, die Fußball spielen, joggen, ringen und alles Mögliche trainieren. Frauen sieht man kaum, Dicke ebenfalls nicht, aber auch keine unterernährten Menschen. Der durchschnittliche Senegalese ist so schlank wie Ibrahim, kurz Ibra genannt. Er ist Ruths rechte Hand oder der «Assistant Manager», wie er es nennt.
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