African Queen
mein Verdacht bestätigt sich. Der lederne Feuerzeughalter ist nicht mehr da. Ich habe ihn gestern Nacht, wie in den Nächten davor, zum Schlafen abgelegt, aber heute Morgen nicht wieder umgehängt. Vielleicht, weil mich Diego zu früh rausklingelte, vielleicht hatte Gott die Hand im Spiel, vielleicht wirkten unbewusste Schutzmechanismen in mir. Fakt ist: Ich vergaß heute Morgen das Geschenk von Dede, und noch vor Sonnenuntergang vergesse ich sie. Und warum ist das eine schlechte Nachricht? Weil dann Dirk recht hat. Weil dann alle Ammenmärchen stimmen. Weil dann Voodoo wahr ist.
«Und das glaubst du wirklich?» Diego ist zurück und brühwarm von mir informiert.
«Nein, ich glaube es nicht. Ich erfahre es.»
«Aber es gibt auch Schizophrenie.»
Ich weiß, was Diego damit sagen will. Menschen machen alle möglichen Erfahrungen, Menschen haben Visionen, Menschen sehen Engel und Dämonen, Menschen sehen Geister. Sie sehen den Himmel, die Hölle und das Zwischenreich, außerdem sehen sie die Zukunft und die Vergangenheit, Menschen erleben Reinkarnationen. Und das ist auch ihr einziger Beweis. Ihr Erlebnis. Sie haben es gesehen, gehört und gefühlt. Hier stehe ich und kann nicht anders, aber ich habe gestern mit dem Teufel und seiner Schwiegermutter Mau-Mau gespielt.
«Ja, Diego, du hast recht. Es gibt auch die Schizophrenie, sie ist die grausame Königin unter den Geisteskrankheiten, und es ist schon immer schwer gewesen, sicher zu sein. Sein oder Schein? Offenbarung oder Halluzination? Kausalzusammenhänge oder Zufall? Selbstverständlich kann es Zufall sein, dass eine kleine, durch eine zärtliche Berührung ausgelöste Verliebtheit ihr natürliches Ablaufdatum an einem Tag erreicht, an dem man auch sein Feuerzeug vergessen hat, Diego, es ist mir wichtig, dass du das verstehst. Ich bin kein Esoteriker, ich bin romantischer Materialist. Aber wenn man genauer hinsieht, dann ist die kleine Romanze mit der Fußballspielerin nicht drei Tage kontinuierlich schwächer geworden, sondern kontinuierlich stärker.»
«Das stimmt», sagt Diego.
«Ja, und ich weiß natürlich auch, dass es Entzündungskrankheiten gibt, die ähnlich verlaufen. Erst schwellen sie drei Tage an, dann schwellen sie drei Tage ab, nach einer Woche ist es vorbei. Aber die Gefühle sind nicht drei Tage lang abgeschwollen. Sie sind schlagartig weg. Wie weggezaubert. Oder soll ich sagen: wie abgehängt.»
«Das stimmt auch.»
«Und was ist jetzt, Kapitän, nimmst du mich mit auf die Reise?»
«São Paulo – La Paz – Bogotá – Curaçao?»
«Besser wär’s.»
Wir nehmen noch einen Drink. Wir nehmen noch zwei. Das heißt, ich trinke zwei Gin Tonic und Diego nur Cola light, denn zwölf Stunden vor dem Abflug ist bei ihm der Hahn zu, wie er sagt. Ich sage auch so dies und das, bin aber mit meinen Gedanken nicht dabei, sondern hänge neuen Gefühlen nach, die ich mit Diego nicht teilen mag, weil ich mich für sie noch mehr schäme als für den Quatsch zuvor. Endlich frei von Mitleid und Liebe, ist da schon wieder ein Gefühl, das ich nicht akzeptieren kann. Ich habe Angst. Ich weiß, das ist beknackt, aber ihr ist es egal, was ich weiß, und egal, was ich glaube, und ihr ist auch egal, was ich nicht glaube, das heißt, unterm Strich ist es ihr egal, ob ich sie akzeptiere oder nicht, sie ist einfach da und raubt mir meine Aufmerksamkeit. Es ist diese kleine beknackte Angst vor dem Feuerzeughalter, der in meinem Zimmer auf mich wartet.
Angst vor einem Lederband?
Abschied von Diego, der Lufthansa und der reinen Vernunft. Nachdem ich den Piloten in seinem Hotel abgesetzt habe, bin ich wieder allein mit Afrika und sehe durch die Fenster des Taxis in die relative Dunkelheit. Es stimmt zwar, dass die Straßen von Dakar so selten beleuchtet wie asphaltiert sind, aber ein paar Funzeln hier und da gibt es schon, auch Gaslampen und offene Feuer. Urbane Zwielichter, die durch Staub und Smog noch mal zwielichtiger scheinen. Voodoo gehört zu Afrika wie die Trommeln und der Nilpferdarsch. Der schwarze Kontinent und die schwarze Magie, viele sagen, er ist ihre Wiege, hier kommt sie her, sogar rumänische Zigeunerhexen, mit denen ich vor der Reise darüber sprach, bestätigten das. «Voodoo ist die stärkste Magie überhaupt, der schwärzeste Zauber, der böseste Fluch», sagte die Hexe Bratara Bruzea aus Bukarest, «pass bloß auf.» Worauf? «Gib niemand ein Foto von dir und lass keine Haare und Zähne liegen. Nimm nichts an. Keine Ringe und Armbänder und
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