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African Queen

African Queen

Titel: African Queen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
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geht raus, und als er wieder ins Haus kommt, hält er die Arme hinter den Kopf, als habe er sich gestoßen oder als habe ihm jemand in den Nacken geschlagen. Verwirrt läuft er an uns vorbei. Miguel, der zweite Hausangestellte, tritt durch die Tür und sagt zu mir mit sehr ernstem Gesicht etwas auf Portugiesisch. Ich beherrsche diese Sprache nicht, aber das englische Wort «dead», das er mehrmals wiederholt, verstehe ich. Etwas später verstehe ich auch den Rest. Romas hochschwangere Frau ist heute Morgen mit starken Schmerzen ins Krankenhaus gegangen, und eben ist sie gestorben und das ungeborene Kind auch. Das Paradies ist aus Glas, und das Glück ist ein seidener Faden, und für Roma ist er gerade gerissen. Er hat heute Morgen, als wir alle so viel lachten, seine kleine Familie verloren und seine Zukunft, und jetzt hält er sich im Hof des Gästehauses an einem Besen fest und weint.
    Mit einem Schlag bricht unsere Reiseseligkeit in sich zusammen. Unsere ersten Spaziergänge über die Insel verlaufen deshalb etwas bedrückt, aber vermutlich wären sie auch ohne den Vollkontakt mit Romas Leid nicht völlig schwerelos gewesen.

    Die Ilha de Moçambique ist nur drei Kilometer lang und insgesamt nicht größer als anderthalb Quadratkilometer, fast keines der Häuser ist jünger als zweihundert Jahre, und außer wenigen Ausnahmen scheinen sie auch vor zweihundert Jahren zum letzten Mal renoviert worden zu sein. Erstklassige verwitterte und verfallene portugiesische Kolonialarchitektur ist natürlich trotz der Erbarmungslosigkeit der Zeit immer noch bildschön, selbst die Vollruinen haben noch den Charme verschmutzter Perlen. Aus ihnen heraus, an ihnen hoch und um sie herum wächst die Pracht und Herrlichkeit afrikanischer Natur. Die Palmen, die Bougainvillea-Büsche und die wilden Blumen sorgen für frische Farben und eine lebendige Dekoration. Zu sagen, der Dschungel fresse die uralte Stadt, wäre übertrieben. Es ist ein moderater und enorm attraktiver Wildwuchs, eine gelungene, weil zufällige Kombination aus urbaner Vergänglichkeit und ewigem Leben, und das alles erinnert mich im ersten Moment an Havanna, die schönste kaputte Stadt der Welt. Aber im zweiten Moment schlagen dann die Unterschiede zwischen den kubanischen und afrikanischen Ruinen doch ziemlich brutal auf den Magen. Den Unterschied machen die Menschen, die darin leben. Kubaner sind arm, aber nicht verelendet. Kubaner sind arbeitslos, aber nicht ungebildet. Trotz ihres rückständigen politischen Systems sind sie Teil der gegenwärtigen Zivilisation. Die meisten Bewohner der Ilha de Moçambique aber sind so weit weg von den Normalitäten unserer Welt, dass jede Kommunikation unmöglich wirkt. Die Analphabetenrate in Mosambik beträgt fünfzig Prozent, es gibt eineinhalb Millionen Waisen, und vierundneunzig Prozent aller Kinder unter fünf Jahren haben keine Geburtsurkunde. Ohne die gibt es aber keinen staatlichen Schutz, ohne Geburtsurkunde müssen sie arbeiten, betteln oder als Kindersoldaten kämpfen. Im Busch, in den Dörfern und zwischen den Grashütten mag die Unterentwicklung dieser Gesellschaft natürlich scheinen, doch hier, inmitten der heruntergekommenen portugiesischen Villen, wirken die absolute Armut und das komplette Unwissen der Menschen über den Rest der Welt brutal. Und an ihnen vorbeizuspazieren ist surreal, wenn nicht gar pervertierter Tourismus. Was soll das? Wenn wir in ihre Dörfer wandern, hat das was von Entdeckerdrang und UNESCO, aber hier ist es entweder verschämter Voyeurismus oder ein schwieriger Urlaub. Doch wir müssen nur durchhalten. Und sie auch. Eines Tages wird hier jedes Gebäude restauriert und rausgeputzt sein, eines Tages gibt’s hier jede Menge tolle Hotels, Restaurants und Cafés, eines Tages ist auch die Strandpromenade wieder so begehbar, wie sie es zu den Glanzzeiten der Portugiesen war. Eines Tages werden aus den Ruinen wieder Pavillons und türkische Bäder, eines Tages ist das alles hier ein Paradies für Flitterwöchner, und die Hölle wird los sein, und dann haben endlich alle was davon, wir und sie. Wir müssen uns nicht mehr schämen, und sie müssen nicht mehr darben. Nur der Tourismus kann diese Insel aus dem Dornröschenschlaf wecken, und wenn es ein Eiland gibt, das es noch wert ist, wachgeküsst zu werden, dann ist es die Ilha de Moçambique. Sie war ein Juwel des kolonialen Portugal, eines Tages wird sie ein Schmuckstück des postkolonialen Qualitätstourismus sein, denn das Leben ist in

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