African Queen
Gotterbarmen und geht schließlich aus. Aber nicht wieder an. Rrrrrrrrrrrrr, rrrrrrrrrrrrr, rrrrrrrrrrr, das ist die Zündung. Was folgt, ist ein Zirkusstückchen. Nachdem alle Passagiere von der Ladefläche geklettert sind und sich anschicken, den Berg zu Fuß zu meistern, lässt man den Laster im Rückwärtsgang die Piste herunterrollen, und etwa fünfhundert Meter unter uns springt der Motor wieder an. Trotzdem darf, als er uns einholt, noch niemand aufsteigen, sonst schafft er die Steigung nicht.
Für Lisa und mich ist es ein seltsames Gefühl, so hinter unseren Mitreisenden herzugehen. Keiner regt sich auf, keiner zetert oder will sein Geld zurück. Sogar der einbeinige alte Mann humpelt komplett entspannt den Berg hinauf, und das alles wirkt nicht wie eine lästige zeitraubende Unterbrechung der Fahrt, es fühlt sich eher wie ein Spaziergang an, wie ein Bummel durch die Ewigkeit, denn man kann Afrikanern so ziemlich alles rauben, nur nicht die Zeit. Ihr Land, ihre Bodenschätze, ihre Kinder, ihre Vergangenheit, ihre Zukunft, ihre Strände, ihre Rechte, ihre Freiheit, all das wird ihnen seit Jahrhunderten gestohlen, aber an ihren größten Schatz sind die Diebe bisher noch nicht rangekommen: «Ihr habt die Uhren, wir haben die Zeit», sagen die Afrikaner, wenn Weiße ihnen überheblich kommen, und da ist verdammt noch mal was dran. Sie schlagen sie nicht tot, sie verhaften sie nicht und sperren sie in Terminkalender, um ihr einmal in der Woche Ausgang zu geben, nein, für sie ist die Zeit ein Ozean, und sie planschen mittendrin.
Ich wünschte, ich könnte das auch, denke ich, während ich einer Mama Afrika hinterhergehe. Und kann es auch schon fast. Die Frau trägt ein gelbes Kopftuch und ein blaues Wickelkleid, und sie bewegt ihr Übergewicht mit ansteckender seelischer Gelassenheit. Fehlt in ihren Gehirnen etwas? Irgendein winziges Trinkgefäß? Oder haben wir nicht alle Tassen im Schrank? Warum muss ich unbedingt noch heute die Insel im Indischen Ozean erreichen? Warum muss ich dort überhaupt sein? Ich bin doch hier. Und etwa hundert Meter entfernt von mir steht der größte Pavian, den ich je gesehen habe. Er wirkt wie ein Gorilla, fast ein bisschen wie King Kong. Mit seinen langen, überaus kräftigen Armen stützt er sich zwar auf dem Boden ab, trotzdem steht er nur ein ganz klein wenig vorgeneigt. Ein Wahnsinnsprimat schaut aus dem Busch unserer kleinen Karawane hinterher. Er winkt nicht zum Abschied, aber es fühlt sich so an.
14. DAS PARADIES IST AUS GLAS
R oma bringt uns das Bier, und wir brauchen es dringend. Wir sind fix und fertig von dieser Reise zur Ilha de Moçambique, außerdem ringen wir um Fassung, weil wir wieder mal am Meer sind. Egal, wie groß ein See ist, so groß, so weltentrennend, so lockend, so abenteuerverheißend wie das Meer kann ein Binnengewässer nicht sein. Auch der Duft ist ganz anders. Das herbe Parfüm der Ozeane erregt die Seele, ein See duftet nur gesund. Und was die Wassermusik angeht, wie soll der Malawisee mit den 292 Millionen Kubikkilometern des Indischen Ozeans konkurrieren? Die Wellen machen mehr Druck, die haben mehr Anlauf und mehr Tiefe.
Außerdem ringen wir natürlich um Fassung, weil die Ilha de Moçambique mit ihrer portugiesischen Kolonialarchitektur so schön und das Gästehaus des italienischen Architekten Gabriele das schönste von all den alten Häusern hier ist, denn er hat es mit viel Liebe, viel Geschmack und viel Zeit renoviert. Und ein guter Hausherr hat gute Angestellte. Roma ist schnell und lacht freundlich, als er uns das Bier nach unserer Ankunft auf der Terrasse serviert, und während der milde Alkohol die Nerven beruhigt, kann ich mich nicht sattsehen an den polaroidgrünen Palmen, die aus verzauberten Villengärten in den knallblauen afrikanischen Himmel wachsen. Auch unser Zimmer zeigt uns Roma lachend. Was heißt Zimmer? Eher ist es eine kleine Wohnung mit hohen Decken und einem kleinen privaten Garten. Die Mauern des Gartens sind sandgelb, die Fensterläden und Türen dunkelblau, und der Baum, der dem Patio Schatten und Kühle spendet, trägt rosarote Blüten. Wir richten uns ein, und Roma putzt das Bad, macht das Bett und hilft mir, einen Tisch auf die private Terrasse zu tragen. Alles macht er gern, umgehend und, ich sage es ein drittes Mal, lachend. Zwischendurch spiele ich ein bisschen Gitarre. Ein wunderschöner Morgen, ein fröhlicher, junger, schwarzer Mann, eine winzige Ecke im Paradies, und dann klopft es an der Tür. Roma
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