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African Queen

African Queen

Titel: African Queen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
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Scheiß auf den Airbus und Düsseldorf, denn so geht es ja auch, allerdings gibt es in diesem Deutschland dann doch zu viele Migranten, um die Illusion perfekt zu machen, und sie sind auch nicht mit Spazierstöcken, sondern mit Macheten unterwegs, außerdem bieten hier die Straßenhändler keine Rostbratwürste, sondern Feldmäuse am Spieß an.
    Wir kommen nach Lushoto, das zu Kaisers Zeiten Wilhelmstal hieß und als heimliche Hauptstadt Deutsch-Ostafrikas galt. Daressalam, Sansibar, alles schön und gut, aber in Wilhelmstal kann man klar denken, und da gibt’s auch keine Malaria. Alles, was Rang und Namen hatte, von Wissmann bis Lettow-Vorbeck, war hier, wenn an der Küste die Hitze unerträglich wurde. Heute sieht Wilhelmstal wie Lushoto aus, also wie ein deutsches Bergdorf bei Stromausfall.
    Wir nächtigen bei Tino. Sein Gästehaus liegt zwar mitten im Ort, aber das heißt nicht, dass man keinen Wald sieht, wenn man bei ihm aus dem Fenster schaut. Unser Zimmer ist so deutsch wie ein Schäferhund, und falls das Bild hinkt, weil man dabei an Schärfe und Gehorsam statt an Gemütlichkeit denkt, ist das nicht weiter schlimm, dann ist das Zimmer halt so deutsch wie ein hinkender Schäferhund. Oder so österreichisch. Lisa fühlt sich in eine Berghütte in der Steiermark versetzt oder in Kärnten oder Vorarlberg. Alles ist aus Holz, die Wände, das Dach, der Boden, die Möbel sind mit der Axt gehauen, ein Kaminfeuer brennt. Das Fenster ist klein, der Schreibtisch, und das spricht für Tino, steht genau davor. Er ist genauso klein und verträumt wie das Fenster, also leck mich, hier bleibe ich.
    Ja, sagt Lisa, drei Tage.

    Wir sitzen am Kamin, und das Feuer erzählt wieder Geschichten. Hänsel und Gretel? Rotkäppchen? Der böse Wolf? Nein, viel böser, es geht um Kartoffelbrei. Er bremste die erste große Reise meines Lebens aus. Mit siebzehn wollte ich nach Indien, und weder die Geldnot (überall) noch die Wölfe (Kurdistan), noch die korrupten Zöllner (Iran) konnten mich ernsthaft aufhalten. Aber in Belutschistan fing ich mir die Elephantiasis ein, und das wurde dann allerdings ein Problem, denn diese Krankheit verläuft nicht selten tödlich. Doch weil ich jung war und noch nie Antibiotika genommen hatte, schlug das Penizillin sehr gut an. Ich lag nur eine Woche mit hohem Fieber im Krankenhaus von Zahedan, aber diese sieben Tage reichten, um ein Heimweh in mir zu entfachen, das meine Abenteuerlust zu Asche verbrannte. Heimweh fokussiert sich gern auf Details. Plötzlich will man genau die Leute wiedersehen, die einem zu Hause auf die Nerven gegangen sind. Plötzlich sehnt man sich wie bekloppt nach Lokalen, in denen man vorher wie bekloppt Reisepläne geschmiedet hat. Plötzlich will man unbedingt unter die Decke zurück, die einem mal auf den Kopf gefallen ist. Mir kam während der Fieberschübe die Lieblingsspeise meiner Kindheit in den Sinn. Im Alter von zwei bis sieben Jahren aß ich eigentlich jeden Tag Kartoffelbrei. Ich bin Ostwestfale, da gilt so was nicht als Kindesmisshandlung. In meinem Fieberwahn in Belutschistan überhöhte ich dieses Gericht total. Nichts auf der Welt erschien mir plötzlich begehrenswerter, erfüllender, erlösender, Kartoffelbrei als Ziel allen Seins. Sogar meine Träume von Indien, vom Himalaya, von Goa, von Erleuchtung, spottbilligen Drogen und Gratiskokosnüssen verblassten dagegen. Das Fieber verließ mich nach einer Woche, aber der Kartoffelbrei-Wahn blieb.
    Komisch, Lisa lacht nicht. Stattdessen schaut sie mich an, als hätte ich einen Sprung in der Schüssel.
    «Kartoffeln gibt es fast überall auf der Welt», sagt sie. «Den Brei hätten sie dir auch in Belutschistan machen können. Willst du jetzt auch Kartoffelbrei, Helge?»
    «Nein.»
    «Aber vielleicht willst du Bergkäse, selbstgemachte Marmelade, dunkles Brot und Filterkaffee? Wenn es das ist, was du willst, dann brauchen wir dafür nicht nach Hause zu fliegen. Das gibt es alles in der ‹Swiss-Farm›, und die ist nur zwei Stunden zu Fuß von hier.»
    Sie hat es im Internet gelesen.
    Käse ist ein trauriges Thema in Afrika. Entweder gibt es Schmelz im Dreieck oder diese gelben Lappen, mit denen man zur Not auch kleinere Löcher in Wasserleitungen abdichten könnte. Beides schmeckt wie ein Abfallprodukt der Plastikindustrie mit Käse-Aromastoffen, und selbst in der «Blue Oyster Hotel»-Niedersachsen-Idylle auf Sansibar hatten sie nichts anderes. Brot ist auch ein trauriges Thema auf dem schwarzen Kontinent, aber in

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