African Queen
wird neu gewählt. Der Präsident sorgt sich um seine Macht, die Opposition ist erstarkt und siegesbewusst, ein ehemaliger Priester führt sie an. Darum schenkt die Regierungspartei jedem, der bei ihren Wahlveranstaltungen jubelt, ein gelbes T-Shirt, eine blaue Kappe sowie zehntausend von den Dingsbums. Ich hab’s vergessen, wie das Geld hier heißt, vielleicht fällt es mir wieder ein. Und weil der oppositionelle Ex-Priester seinen Anhängern empfohlen hat, das gelbe T-Shirt, die blaue Kappe und die zehntausend Dingsbums zu nehmen, aber trotzdem ihn zu wählen, sind jetzt wirklich alle Bewohner von Sansibar, die ein gelbes T-Shirt, eine blaue Kappe und zehntausend Dingsbums gebrauchen können, mit Sonderbussen, Sonderlastwagen und sonderlich überladenen Motorrädern und Personenkraftwagen auf dieser Straße in der Richtung unterwegs, aus der wir kommen. Alle sind gut drauf, ohne Frage, sie schreien, sie singen, sie skandieren Parolen in ihrer nagelneuen Garderobe. Auch scheint es, dass viele von ihnen einen erquicklichen Anteil der zehntausend Dingsbums bereits in Alkoholika investiert und davon auch dem jeweiligen Fahrer etwas eingeflößt haben, und das alles macht diese Fahrt vom «Blue Oyster Hotel» zum Flughafen, der mehr oder weniger am anderen Ende der Insel ist, zu einem recht dramatischen Unterfangen für Lisa, weil sie bei jedem Beinah-Frontalzusammenstoß ihre Nerven verliert, statt darauf zu vertrauen, dass hier jeder weiß, was er tut. Natürlich hat sie recht, sie wissen es nicht, aber es fühlt sich einfach besser an, das zu ignorieren.
Ich wiederum bekomme Probleme, als ich am Flughafen von Sansibar nur schmachtende Blicke auf einen Airbus werfen darf, der in Kürze nonstop nach Düsseldorf fliegt, während wir eine Cessna mit zwei Propellern und zwölf Sitzplätzen besteigen. Der Flug zum Festland von Tansania bietet dann wieder einmal die in solchen Maschinen übliche Mischung aus aufwallenden Todesängsten und optischen Sensationen. Der Blick aufs Meer, auf die Nachbarinseln, auf die Palmen-Lagunen, auf die Fischerboote, auf die Delphine und Haie aus geringer Höhe mischt das Adrenalin und die Glückshormone zu einem Erlebniscocktail, der weder süß noch sauer ist, außerdem dauert es nur knapp eine Stunde, und wir landen in einer Stadt, die wie ein Bikini heißt. Tanga. Hier hat der deutsche General Lettow-Vorbeck zum ersten, aber nicht zum letzten Mal die Engländer geschlagen, wofür die ihm nachträglich nicht mal böse sind, im Gegenteil, sie bewundern sein strategisches Genie. Aber trotz aller architektonischen Erinnerungen an die deutsche Kolonialzeit – ein Hotel etwa, ein Denkmal (mit Uhr) und einige andere von den Kaisertreuen gebaute, aber von uns nicht besichtigte Gebäude – gibt es in Tanga doch noch entschieden zu viele Palmen, um mein Heimweh lindern zu können, darum bleiben wir nicht zu lang. Erst als sich drei Stunden später unser Taxi über Serpentinen in die Usambara-Berge frisst, verschwinden die Palmen und andere Tropengewächse, um ab spätestens eintausendfünfhundert Metern einem deutschen Mischwald Platz zu machen. Oder irre ich mich, und es ist ein österreichischer Wald oder ein Schweizer? Auch weiß ich nicht, ob es wirklich Birken, Buchen, Linden, Eichen, Kiefern, Tannen und Kastanienbäume sind oder nur deren afrikanische Artverwandte. Aber das Grün stimmt ebenso wie die Temperatur (siebzehn Grad), der Duft und das Spiel von Licht und Schatten im Unterholz.
Was genau erfreut meine Seele an der fast perfekten Kopie eines heimatlichen Mischwalds? Ich würde sagen, es entspricht dem Entzücken, das Beduinen bei der Rückkehr in die Wüste in ihrem Herzen tragen, oder der Freude, die von tibetischen Buddhisten empfunden wird, wenn sie nach langer Zeit im Exil wieder mal auf den Knien über das Dach der Welt rutschen, oder der Erregung von Eskimos auf Schlittschuhbahnen. Ganz Ähnliches wird auch von den kleinen grünen Männchen bei ihrer Rückkehr auf den Mars empfunden oder von E. T. beim Eintauchen in die heimische Galaxis. Nach Hause gehen, nach Hause kommen – was man als Kind sah, fühlte, schmeckte und schnupperte, wird immer die Heimat der Seele bleiben, egal, für welche Wahlheimat man sich entschieden hat, und weil in den Usambara-Bergen nicht nur die Bäume, Büsche und Wiesen deutschtümeln, sondern auch die Holzhütten, Fachwerkhäuser und Berghöfe am Wegesrand wie im Harz, in den Voralpen oder im Sauerland aussehen, muss ich Lisa recht geben.
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