Afrika im Doppelpack: Vater und Sohn mit dem Rucksack durch Schwarzafrika
Jüngeren geführt?
Beinahe wurde er von einer lärmenden Horde Buben umgerannt, die hintereinander herjagend zwischen den Flanierenden vorbeistob. Endlich hatte der Einäugige sein Ziel erreicht und ließ sich erleichtert auf einen Plastikstuhl sinken. Für die nächsten Stunden würde er mit ein paar Gleichaltrigen bei einer Tasse Kaffee alle fünf gerade sein lassen. Über was werden sie sich unterhalten haben? Lamentierten sie über die Beschwernisse des Alltags oder schimpften sie auf ihre Ehefrauen? Hingen sie ihren Träumen nach oder waren ihnen diese schon vor langer Zeit vergangen, als immer mehr Kinder nach immer mehr zu essen, zum Anziehen und für die Schule verlangten?
Auch Michael und ich träumten. Wir sahen uns bereits mit zerzaustem Haar unter dem großen Segel einer arabischen Dau stehen, um mit Kapitän und Mannschaft Seemannsgarn zu spinnen, während wir von Delfinen begleitet zu entlegenen Inseln segelten. Doch bis jetzt hatten wir weder eine Dau noch einen Kapitän mit seiner Mannschaft – ich mit meiner Vollglatze hatte noch nicht einmal mehr Haare, weder zerzaust noch unzerzaust.
Wir entschlossen uns, heute frühzeitig zu Bett zu gehen, um am folgenden Morgen all unsere Zeit und Energie in die Organisation eines Bootstrips zu stecken. Auf einer Abschlussrunde zu Fuß durch die Altstadt kamen wir immer wieder an kleineren Plätzen vorbei, auf denen sich Fußballfans jeden Alters um einen Fernseher versammelt hatten und aufmerksam im kleinen Kreis der Live-Übertragung eines Fußballspiels folgten. Überhaupt schien Fußball in Kenia allerorts eine große Rolle zu spielen und Michael, der häufig Trikots seiner Lieblingsmannschaften Bayern München oder dem FC Barcelona trug, wurde regelmäßig angesprochen und über Fußball ausgefragt.
Auch hier war es nicht viel anders. Schnell fanden wir uns auf ein paar Plastikstühlen wieder, nachdem wir wegen Michaels Trikot des Weltstars Lionel Messi als Fußballfans identifiziert und spontan eingeladen worden waren, gemeinsam die letzten Minuten eines Spiels der englischen Premier League zu schauen.
Doch ich konnte mich nicht auf das Spiel konzentrieren. Meine Aufmerksamkeit richtete sich auf einen der Zuschauer, dessen Aussehen und Auftreten mich fesselte. Er mochte etwa 40 Jahre alt sein, somalischen Ursprungs, mit dem kantigen Gesicht eines harten Mannes. Dazu trug er einen militärisch kurzen Stoppelhaarschnitt. Sein drahtiger, gar ausgemergelter Körper ließ ein entbehrungsreiches, vielleicht asketisches Leben vermuten. Einen Zigarillo rauchend beachtete er das Spiel nicht im Geringsten, sondern sinnierte mit versteinerter Miene still vor sich hin. Wer war dieser geheimnisvolle, charismatische Fremde, der mich so in seinen Bann zog?
Er war umgeben von einer Gruppe deutlich jüngerer Männer, die mit einer Art pubertärem Balzverhalten um seine Aufmerksamkeit rangen. Sich seiner herausragenden Stellung bewusst, ignorierte er deren Imponiergehabe weitgehend und unterstrich dadurch seinen Status ein weiteres Mal. Ihn umgab die Aura eines auserwählten Führers, die ihn aber auch von seinesgleichen entrückte und zu einem Leben als einsamer Wolf verurteilte.
Nur zu gern hätte ich ihn kennenlernen und sein Geheimnis lüften wollen. Doch niemals hätte ich es gewagt, ihn einfach anzusprechen. Völlig unerwartet tat der vielleicht jüngste in seinem Gefolge den ersten Schritt. Er stellte sich als Barak vor und fragte mich sehr zurückhaltend nach meinem Namen, meiner Herkunft, der Dauer und dem Ziel meiner Reise – eben all den üblichen unbefangenen Dingen, die bei einer ersten Kontaktaufnahme abgeklopft werden. Kaum hatte ich seine Fragen in kürzester Form beantwortet und Michael als meinen Sohn vorgestellt, erkundigte er sich, ob wir schon eine der Inseln besucht hätten.
Die Frage fuhr mir wie ein Messer in den Bauch, und ich wollte versuchen, mir bei meiner Antwort nicht gleich anmerken zu lassen, dass ich gegenwärtig keinen größeren Wunsch verspürte, als mit einer Dau auf eine der Inseln zu segeln. „Nein, wir sind noch nicht lange hier“, antwortete ich und hoffte, dabei so neutral wie möglich zu klingen, wollte ich doch bei allen Hoffnungen auf einen abenteuerlichen Trip keine überzogenen Preisvorstellungen wecken.
„Ihr müsst nach Kiwaiyu. Die Fahrt dauert zwei Tage, aber es ist die schönste Insel. Ihr könnt dort am Strand schlafen, schwimmen und schnorcheln. Habt ihr schon mit einem der Kapitäne gesprochen?“ Eine
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