Afrika, Meine Passion
irgendwann meine Kinder verhaften würde. Mein Mutterinstinkt sagte mir, dass ich damit aufhören musste.
In dieser Phase lernte ich einen neuen Mann kennen. Er zog bei uns ein, hatte auch ab und zu eine Arbeit und konnte mich unterstützen. Ihm erzählte ich ebenfalls, dass ich Aids habe, aber auch er wollte es nicht wahrhaben, denn ich sähe ja so gesund aus. Natürlich war ich froh, dass mir ein Mann unter die Arme griff, und außerdem bist du als Frau hier im Slum sicherer vor Überfällen«, beendet sie den Satz.
Ich muss mich wirklich wundern über all diese Männer, und allmählich steigt auch ein wenig Wut in mir hoch. Aber es scheint nach wie vor so zu sein, dass viele diese Krankheit ignorieren und ihr Leben führen, als existiere sie nicht. Wenn ich Doreen so anschaue, kann ich mir allerdings auch nicht vorstellen, dass sie den tödlichen Virus in sich trägt. Darüber hinaus hat sie eine Art, die mich fasziniert. Sie ist so lebendig und lebensfroh, dass ich mich in ihrer Gesellschaft ausgesprochen wohlfühle. Wenn sie erzählt, gestikuliert sie kraftvoll mit den Armen in alle Himmelsrichtungen, anders als Irene, deren Hände fast immer in ihrem Schoß lagen.
Doreen fährt mit ihrer Lebensgeschichte fort: »Ich wurde auch von diesem Mann schwanger.« Dabei zeigt sie auf das kleine Mädchen, das immer noch auf ihren Beinen sitzt. »Ich habe mir extra Geld für die Klinik angespart, damit mein Kind bei der Entbindung vor dieser Krankheit geschützt werden kann. Doch es kam alles anders. Als die Wehen begannen, machte ich mich mit einer Nachbarin auf den langen Weg zur Klinik. Wir waren noch nicht weit gekommen, als ich das Fruchtwasser verlor und kurz darauf spürte, dass das Kind kommen will. Mir blieb keine Wahl, als meine Tochter am Straßenrand zu gebären. Meine Nachbarin half mir dabei. Nun musste ich mich entscheiden, ob ich mit dem Neugeborenen den weiten Weg zur Klinik laufe oder ob ich umkehre und es heimbringe. Zu Hause warteten mehrere hungrige Kinder, die mit dem gesparten Geld etwas zu essen besorgen könnten. Außerdem hatte ich nichts, um mein Neugeborenes einzuwickeln, und fühlte mich schmutzig und schwach. Also entschloss ich mich umzukehren, was aber zur Folge hat, dass meine jüngste Tochter ebenfalls infiziert ist.«
Zum ersten Mal hört sich Doreens Stimme leise und fast entschuldigend an. Im ersten Moment denke auch ich, dass es sinnvoll gewesen wäre, das Spital aufzusuchen. Auf der anderen Seite kann ich mir nicht vorstellen, wie eine über vierzigjährige Frau, die ihr Kind soeben am Straßenrand bekommen hat, anschließend mehrere Kilometer zu Fuß zum Hospital laufen soll. Bei uns in der Schweiz liegt man in einem sauberen Krankenhausbett und wird betreut und umsorgt. Und trotzdem sind die meisten Frauen nach der Geburt erst einmal völlig erschöpft und müssen sich mehrere Tage erholen.
Bei Doreen war es anders. Sie kehrte zurück in ihr Haus und die Kinder kochten für sie, damit sie sich schonen konnte. Sie sagt: »Wenn du in Schwierigkeiten steckst, sorgt eine gnädige Vorsehung immer wieder dafür, dass es irgendwie weitergeht. In diesem Fall war es gut, dass ich das Kind am Freitag Abend bekam. So konnte ich mich über das Wochenende erholen und meine Kinder betreuten mich. Auch mein Freund sorgte für Essen, und schon am Montag war ich in der Lage, auch selbst zu kochen. Eine Woche später nahm ich die Wascharbeit für fremde Leute wieder auf. Natürlich schmerzt der Rücken, wenn man stundenlang in gebeugter Haltung schmutzige Kleidung mit der Hand wäscht. Doch ich war und bin bis heute froh, dass es diese Art von Jobs noch gibt und nur wenige Menschen in der modernen City Waschmaschinen besitzen.
Kurz nach der Geburt brach das Chaos nach der Wahl über uns herein und mein Leben wurde sehr schwer. Mein Freund kehrte eines Tages nicht mehr zurück. Ich weiß bis heute nicht, ob er noch lebt und was passiert ist. Überall stritten Menschen bis aufs Blut miteinander. Es gab keine Jobs mehr. Keiner traute dem anderen. In dieser Zeit hörte ich zum ersten Mal von Solidarités. Ich erfuhr, dass in einer anderen Region des Slums von dieser Hilfsorganisation Essensgutscheine ausgegeben werden. Da wir seit Tagen sehr hungrig waren, ging ich sofort hin.
Eine lange Menschenschlange wartete vor der Ausgabestelle. Als ich endlich an der Reihe war, erklärte mir die Frau, dass ich nicht berechtigt sei, die Gutscheine zu bekommen, da ich nicht aus dieser Gegend stamme. Ich
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