Afrika, Meine Passion
Alter zusätzlich unterstreicht. Über ihre Schultern haben alle die gleiche, rot-orange gestreifte Decke gelegt.
James erklärt uns nun das bevorstehende Ritual: »Die hier anwesenden Männer sind in Barsaloi geboren und alle kennen dich, Corinne, schon von früher. Da nur der Jüngste unter ihnen etwas Englisch spricht, wird er das Wort ergreifen, bevor alle die Segnung sprechen. Danach müsst ihr unverzüglich gehen, denn sie werden weiterbeten, bis ihr abgefahren seid.«
Der Englisch sprechende Alte stellt sich vor Napirai und mich und beginnt zu reden: »Nochmals ein herzliches Willkommen an dich, Corinne, unsere Tochter Napirai und eure Begleiter. Wir sind sehr glücklich, dass ihr zurückgekommen seid, um uns zu sehen. Wir wissen nun, dass ihr uns nicht wirklich verlassen habt und dass wir in euren Gedanken sind. Wir wünschen uns auch für die Zukunft, dass wir wie eine Memory-Karte in eurem Gedächtnis bleiben. Ihr habt bereits viel für uns getan. Wenn Gott es möglich macht, werdet ihr, du und deine Freunde, uns auf diesem Flecken Erde weiterhin helfen können. Amerika hat einen Obama. Wir haben unseren eigenen Obama in der Schweiz.« Dabei zeigt er auf Napirai und fährt an sie gerichtet mit seiner Rede fort:
»Napirai, unser Kind, wir hoffen, dass du wieder einmal den Weg zu uns finden wirst und uns und deine Geschwister besuchen kommst. Seit dem Tag deiner Geburt bist du ein Teil von uns. Wir haben immer auf Gott vertraut, dass wir uns alle eines Tages wiederbegegnen werden. Und so ist es geschehen. Wir alle hier träumen von einer High School, die den Namen Napirai tragen soll. Es ist schwer, aber nicht unmöglich. Wir haben Zeit, auch wenn es fünf oder zehn Jahre dauern wird. Eines Tages werden unsere Kinder in Barsaloi die High School Napirai besuchen können. Vielen Dank an euch alle und an die Menschen in Europa, die uns unterstützt haben.« Mit diesen Worten tritt er zu den anderen zurück. Ich bin so gerührt, dass ich spontan eine kurze Dankesrede halte:
»Vielen Dank an euch alle für die Gastfreundschaft, die ich in Barsaloi, damals wie heute, erfahren durfte. Ich werde diesen Flecken Erde nie vergessen können, da die Jahre hier für mich zu den wertvollsten in meinem Leben gehören, auch wenn es nicht immer einfach für mich als Mzungu war, wie sich viele von euch sicherlich erinnern können. Dennoch bin ich Lketinga dankbar, dass er den Mut hatte, sich auf eine weiße Frau einzulassen, und euch danke ich, dass ihr uns eure Zustimmung erteilt habt. Daraus ist unsere Tochter Napirai entstanden, die eine Brücke zwischen Schwarz und Weiß symbolisiert. Ich werde nach wie vor Barsaloi, so gut ich kann, unterstützen, und vielleicht schaffen wir es alle gemeinsam, euch eurem Traum näher zu bringen. Vielen Dank, und auch mein Gott soll euch beschützen.«
James übersetzt meine Worte, denen alle aufmerksam zuhören. Anschließend nicken einige oder klatschen anerkennend. Dann müssen wir uns vor die Alten stellen, und zwar so, dass wir alle in Richtung Westen schauen. Albert, Napirai und ich stehen nun mit dem Rücken zu ihnen und sie beginnen mit der Segnung. Papa Saguna spricht als Erster. Seine Stimme klingt kraftvoll und seine Sätze sind kurz und energisch. Nach jedem Satz antworten alle mit »Enkai«. Dabei unterstützen sie das Gesagte, indem sie ihren Stock kurz durch die Luft schwenken. Es hört sich wie ein Gebet an und bald verfalle ich in eine Art Trance, während meine Lippen automatisch das Wort »Enkai« mitsprechen. Napirai steht neben mir und weiß offensichtlich nicht so genau, was sie davon halten soll. Sie erlebt diese Zeremonie zum ersten Mal. Nach mehreren Minuten endet Papa Saguna und alle Ältesten spucken in ihre Hände. Ich schaue mich kurz um und entdecke Lketinga und etwas abseits seine Frau. Beide beten ebenfalls. Nun übernimmt ein anderer Vorsprecher die Wortführung und das Ritual wiederholt sich.
Jetzt ist der endgültige Abschied gekommen. Wir dürfen uns nicht mehr umdrehen, sondern müssen uns aus dem Kral entfernen, während die Alten sich niederkauern und in immer schneller werdendem Rhythmus ihre Segnung weitersprechen. Sie werden so lange beten, bis wir mit dem Auto Barsaloi verlassen haben. Fast wie unter Hypnose marschiere ich zum Auto und umarme die alten Frauen, die hier gewartet haben. Auch Stefania, James und die Kinder stehen da. Lketinga löst sich von seiner jungen Frau und den Kindern und kommt zum Auto. Mit ernstem, regungslosem Gesicht
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