Afrika, Meine Passion
verändert. Gekocht wird noch immer auf einem Holzkohleöfchen am Boden neben dem Wohnzimmer. Hinten ist ein Schlafraum, der mit Tüchern abgeteilt ist.
Leider drängt die Zeit und wir marschieren nach kurzer Besichtigung zum dritten im Bunde der ehemaligen Schulboys. Charles ist gerade mit Hausbau beschäftigt. Er strahlt über das ganze Gesicht, während er mir die Hand reicht und Napirai bestaunt. Er kann es nicht glauben, wie groß dieses Mädchen geworden ist, und holt doch tatsächlich ein altes Foto hervor, das ihn mit Baby Napirai beim Besuch im Wamba Hospital zeigt. Ich bin überrascht, denn dieses Foto kenne ich nicht. Er hingegen erinnert sich genau. Fröhlich plaudern wir über vergangene Zeiten und es freut mich zu sehen, wie aus der damals ersten Generation von Schuljungen es einigen doch gelungen ist, etwas aus ihrem Leben zu machen. Das ist nicht selbstverständlich, da es kaum Arbeitsplätze gibt.
Wir hören, dass sich auf dem Missionsgelände unsere Wagen in Bewegung setzen. Das bedeutet, der Abschied naht. Vor der Segnung müssen wir unbedingt noch zu Mama. Wieder verfolgt von einer Kinderschar, gehen wir zu ihrer Hütte, vor der sie am Boden sitzt und schon auf uns wartet. Ein Bein ist wie immer gestreckt, das andere zum Körper angewinkelt – die typische Sitzhaltung der Frauen. Ich setze mich zu ihr und James übersetzt unser Gespräch. Ernst, zwischendurch auch lachend, bedankt sie sich ausführlich für unseren Besuch. Sie lässt ausrichten: »Ich danke Enkai, dem Gott, dass ich alt genug geworden bin, um meine Enkelin Napirai noch sehen zu können. Ich danke Enkai, weil er mir ein Augenlicht zurückgegeben hat, sodass ich Corinne und Napirai überhaupt erkennen konnte. Ich danke Enkai, dass er Corinne noch einmal die Kraft gegeben hat, hierherzukommen.« Während Mama spricht, entfernt sich Lketinga leise. Seine Schwester sitzt wieder traurig etwas abseits am Boden und Saguna lugt um die Ecke und hört aufmerksam zu.
Mein Herz ist schwer, aber nicht so sehr wie nach meinem ersten Besuch. Ich bin glücklich, dass Mama und Napirai sich noch begegnen konnten. Zudem habe ich die Hoffnung, dass ich sie vielleicht ein weiteres Mal sehen kann. In zwei Jahren, wenn das große und wahrscheinlich letzte traditionelle »Kriegerfest« gefeiert wird, möchte ich gerne wiederkommen. Dieses Fest findet etwa alle 12 bis 15 Jahre statt. Über eine Woche wird an einem ganz speziell ausgesuchten Ort gefeiert und getanzt und es werden viele Rinder geschlachtet und verschiedene Rituale vollzogen. Die traditionellen Krieger schneiden sich die lange Haarpracht ab und legen fast den gesamten Schmuck nieder. Dieses Fest ist mit starken Emotionen verbunden, weil eine wichtige Zeit im Leben eines Samburu-Mannes zu Ende geht. Er verabschiedet sich von seinem Status als Krieger, legt den unnahbaren Stolz und die Eitelkeit allmählich ab und verliert an Glanz. Fortan gehört er zu den jungen Alten, darf heiraten und Familienvater werden.
Ich würde allzu gerne mit meiner Tochter bei diesem Fest dabei sein, und wenn Gott es so vorsieht, wird Mama auch dann noch da sein. Als James ihr dies verkündet, sagt sie lachend: »E na – ja klar.«
Meine als Scherz gemeinte Äußerung, Lodunu und Diego, die beiden Kleinen, mitnehmen zu wollen, weil sie Napirai so gut gefallen, findet jedoch ganz und gar nicht ihr Einverständnis und sie schüttelt energisch verneinend den Kopf. Alle lachen. Auch ich bedanke mich noch einmal innigst bei ihr und will meine Komplimente nicht zurückhalten. Sie ist einfach großartig und für mich ein leuchtendes Vorbild. So zufrieden würde ich mich in ihrem Alter auch gerne fühlen.
Wir umarmen und drücken uns ein letztes Mal, so gut es geht, da sie nicht aufstehen kann, und ich atme tief ihren Geruch ein, damit er sich in mein Gedächtnis brennt. Dann nimmt sie Napirai in den Arm und bedenkt sie mit einer kurzen Segnung, bevor sich auch Albert und Klaus per Händedruck verabschieden können. Anschließend gehen wir zu James’ Haus. Ich drehe mich noch einmal um und sehe, wie Mama sich mit ihrer offenen Hand über das Gesicht streicht, wie sie es immer macht, wenn sie die unterdrückten Gefühle wegwischt. Dieser Anblick erfüllt mich mit Traurigkeit.
Vor dem Haus haben sich inzwischen an die fünfzehn Dorfälteste eingefunden. Auch Papa Saguna ist unter ihnen. Die Gesichter sind alt und markant. Jeder trägt eine Kopfbedeckung, entweder eine Wollmütze oder einen richtigen Hut, was das
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