Afrika Quer (German Edition)
zusammen, um über die Blutgeldzahlung zu verhandeln. Für einen männlichen Toten liegt sie bei 100 Kamelen.
Irgendwie ist es beruhigend zu wissen, dass diese Summe keiner Inflation unterliegt. Sie wurde auch schon zu Lebzeiten des Propheten Mohammed bezahlt, vor fast 1.400 Jahren.
Aber in Mogadischu gibt es im Vergleich zu Bosasso einen kleinen Unterschied. In der Hauptstadt leben immer noch verschiedene Clans. Und die Kompensation für einen Toten wird nur bezahlt, wenn er zu einem mächtigen Clan gehörte. Bantus zum Beispiel, die Nachkommen jener Sklaven, die bis ins 19. Jahrhundert von den osmanischen Sultanen aus Tansania und Mosambik nach Somalia gebracht wurden, brauchen sich auf die 100 Kamele keine Hoffnung zu machen.
Der liebe Horst (Bosasso – Garowe)
Recht gilt dann, wenn Verstöße dagegen geahndet werden. Das ist eine Binsenweisheit. Aber was ist, wenn es keine dafür vorgesehene Institution oder so gut wie keine gibt? Gibt es dann kein Recht?
Dann finden sich eben andere Mechanismen. So ist es in Somalia. Das durch die Kolonialmächte eingeführte staatliche System ist mit dem Bürgerkrieg zusammengebrochen. Also hat sich die Gesellschaft wieder auf den vor-kolonialen Zustand zurückfallen lassen: das Clansystem.
Garibaldi hatte mir in Bosasso geraten, das Hotelgelände nicht zu verlassen. Die europäischen Mitarbeiter der Hilfsorganisation hielten sich daran. Unbegleitet gingen sie bis zum Schreibwaren- und zum Telefongeschäft, beides innerhalb eines 50-Meter-Radius vom Hotel. Mit Nuredin an meiner Seite spazierte ich jedoch zu Fuß durch die Stadt. Und ich fühlte mich sicher dabei. Aber wie würde es sein, wenn ich allein nach Garowe fuhr?
Hier half mir wieder Nuredin. Er ging zu den Chauffeuren, die die Strecke in den puntländischen Regierungssitz fuhren, wählte einen aus, den er kannte, und machte ihm klar, dass er von nun an für meine Sicherheit verantwortlich war. Während ich daneben stand – wohl mehr, um mich zu beruhigen - notierte Nuredin Namen, Familien- und Subclanzugehörigkeit des Fahrers und machte ihm klar, dass er sich wieder an ihn wenden werde, sollte ich mich nicht aus Garowe melden.
Außerdem nahm ihm Nuredin das Versprechen ab, mich in Garowe ebenfalls nur wieder einem Fahrer zu übergeben, dessen Familienzugehörigkeit er kannte. Nuredin hätte im Notfall über die Ältesten seiner Familie bzw. seines Sub-Clans gehen können, um dem ersten Fahrer Schwierigkeiten zu bereiten. Theoretisch dann über den und dessen Ältesten sogar dem zweiten Fahrer.
Wider Erwarten war die Fahrt nach Garowe jedoch eine der einfachsten und angenehmsten der gesamten Durchquerung. Die Teerstraße hatte kaum Schlaglöcher. Zwar wurde sie noch vor dem Bürgerkrieg gebaut, blieb aber schön glatt, da es hier nur ganz selten regnet.
Das Auto, ein japanischer Kombi, war vergleichsweise neu, denn nach Puntland fließt eine Menge Geld von Verwandten aus dem Ausland, die wegen des Krieges nach Europa, den USA oder die Golfstaaten geflohen sind. Und der Fahrer hatte es, obwohl eine Frau unterwegs ausgestiegen war, nicht nötig, jemand anderen an der Straße aufzulesen. Ich bin in Afrika auch schon in Minibussen gefahren, die auf 150 Kilometern über fünfzig Mal angehalten haben, um Passagiere ein- und aussteigen zu lassen.
Zum ersten Nachmittagsgebet hielt der Fahrer an einer typischen somalischen Raststätte. Meistens bestanden die aus einem großen, mit Erde abgedichteten Dach an der Straße, das auf krummen Ästen ruhte. Darunter standen ein paar raue, wackelige Tische und dahinter ein paar Hütten, in denen der Wirt und seine Familie wohnte.
Neben diesen Hütten lag immer ein großer Haufen mit Schafs- und Ziegenknochen, denn gekochtes Schaf oder Ziege mit Spaghetti oder Reis ist eigentlich das einzige Essen, das man in solchen Raststätten bekommt. Ich trank meistens Kamelmilch und verzichtete auf die Ziege. Lieber aß ich Spaghetti oder Reis nur mit Soße dazu.
Ein junger Mann, Anfang zwanzig, in Jeans und mit verspiegelter Sonnenbrille auf der Nase, setzte sich an meinen Tisch. Darüber war ich ganz froh, denn in unserem Auto hatte niemand Englisch gesprochen, und ich hoffte, dass er mir bei der Bestellung half. Er stellte sich als John vor und fragte mich sofort, aus welchem Land ich stammte.
Das ist die afrikanische Frage. Auf meiner Reise wurde ich sie sooft gefragt, dass ich sie bald nicht mehr hören konnte. Jeder stellte sie und zwar gleich als erste, und nachdem ich
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