Afrika Quer (German Edition)
geantwortet hatte, waren fast alle zufrieden. Wenn sie mein Land kannten, wussten sie Bescheid.
Bevor ich eine Weile in Afrika lebte, habe ich die ständige Frage nach der Herkunft noch für reine Neugierde gehalten. Aber bald habe ich gemerkt, dass mehr dahinter steckte. Wenn man in Europa eine einzige Frage hätte, um so viel wie möglich über eine Person zu erfahren, würde jeder nach dem Beruf fragen. Aber in Afrika fragt man nach der ethnischen Gruppe, denn es hängt so viel davon ab: Ist jemand Hirte oder Ackerbauer, Händler oder Soldat? Steht er der Regierung nah oder ist für die Opposition? Und oft genug auch, ist er Freund oder Feind?
In Afrika dachten nicht nur die einfachen Leute in ethnischen Kategorien, sondern auch viele mit guter Schulbildung. Die übertragen sie einfach auf die Weißen. In ihren Augen entspricht der afrikanischen ethnischen Gruppe die europäische Nationalität. Deshalb wurde ich sooft danach gefragt.
Ich nannte John meine. „Was? Deutscher bist du?“, sagte er, als ob er gerade von einem Hauptgewinn im Lotto erfahren hätte. „Na, dann kennst du doch sicher den Horst.“
Horst? Nein, sagte ich, den kenne ich nicht.
„Na, aber dann bestimmt den Thomas“, fuhr er aufgeregt fort. Er war perplex. Er schien überhaupt nicht verstehen zu können, dass ich nicht sofort sagte: Na logisch, kenne ich die beiden.
John dachte nämlich, dass er endlich jemanden gefunden hat, der ihm helfen kann. Er kam aus Belet Huen, jener zentralsomalischen Stadt, in der die Bundeswehr Anfang der neunziger Jahre ihren ersten richtigen UNO-Einsatz absolvierte. Horst, erzählte John mir nun, war ebenso wie Thomas Bundeswehrsoldat bei dem Einsatz. Die beiden hatten John zum Markt geschickt, um ihn für sich einkaufen zu lassen. Ihre Nachnamen kannte John nicht. Und den Ort in Deutschland, in dem sie wohnten, auch nicht. „Ich war damals ja noch so klein“, sagte er traurig. Er musste damals kaum zehn Jahre alt gewesen sein. Und mit zärtlich-weicher Stimme fügte er hinzu, als sei es erst gestern gewesen und als erinnerte er sich nun wieder an den Schmerz, den ihm damals der Abschied bereitete: „Es hat mir damals so arg leid getan, als sie gingen.“ Er griff zur Brusttasche. „Wir haben noch Horsts Foto.“ Er hatte es zuhause vergessen. Ich musste sofort daran denken, dass Nuredin mich erst am Morgen in Bosasso in ein Fotostudio geschleppt hatte, um ein gemeinsames Porträt aufzunehmen. „Wir wollten ihm immer schreiben, aber wir hatten ja keine Adresse.“
Dass in Deutschland über achtzig Millionen Leute leben und wahrscheinlich ein paartausend Horste, schien John nicht zu beeindrucken, und die Vorstellung, dass man nicht wie in Afrika jede Person finden kann, wenn man ihren Vornamen und eine ungefähre Vorstellung hat, wo sie wohnt, schien seine Phantasie zu übersteigen. Von allem, was ich von Horst wusste, dass er Berufssoldat war, dass er sich freiwillig zu dem Einsatz gemeldet hatte, und dass er - von allen Namen - auch noch Horst hieß, machte mir diesen Mann nicht gerade sympathisch. Und dass John so zärtlich von ihm sprach wie von einer ersten großen Liebe, befremdete mich außerordentlich.
Aber so ist das. Noch viel mehr als umgekehrt sind Weiße für Afrikaner ausgesprochen fremde Wesen: Weiße sind immer pünktlich. Sie haben eine Menge Geld und geben es gerne aus. Sie regen sich auf, wenn etwas nicht funktioniert. Sie sind einfach unerschließbar. Aber untereinander sind sie alle gleich. Differenzierter denken nur sehr wenige Afrikaner.
Wenn ich in Afrika in eine neue Stadt kam, haben mich die Einheimischen stets darauf hingewiesen, dass es hier „meine Brüder“ gebe: Mitarbeiter von Hilfsorganisationen zumeist, oft genug Deutsche. Und die Tatsache, dass, wenn schon nicht alle Weißen Brüder seien, dann auch noch die vom selben Stamm nicht, hat sie oft bass erstaunt.
Als er mitbekam, dass ein Deutscher und ein Schweizer mich nicht auf einer Flussfahrt auf dem Niger dabei haben wollten, fiel ein Reiseführer in Mopti aus allen Wolken: „Na also, dass die Weißen sich untereinander auch nicht verstehen. Wer hätte das gedacht!“ Und als Reiseführer war er noch einer derjenigen, die unmittelbare Erfahrungen machten mit den Weißen.
Unter Entführern (Garowe – Hargeisa)
In Garowe holte mich der Fahrer, mit dem ich aus Bosasso gekommen war, vom Hotel ab. Hier hatte er mich am Tag zuvor abgesetzt, und seitdem hatte ich es nicht verlassen.
„Leider haben wir ein
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