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Afrika Quer (German Edition)

Afrika Quer (German Edition)

Titel: Afrika Quer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Boehm
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über ihre neuesten Pläne zu diskutieren. Und der Chefarzt, der es übernommen hatte, mir zu erklären, was in der Runde so vor sich ging, sagte: „Sehen Sie, das ist wie bei Ihnen, wenn sich abends Kollegen und Freunde zu einem Bier treffen.“
    Vor der Runde hatten wir, wie sich das empfiehlt, reichlich zu Mittag gegessen. Den Khat hatten wir uns auf dem Markt besorgt. Ein Bündel mittlerer Qualität kostet in Hargeisa drei Euro.
    Dr. Mohammed, der nicht oft kaut, und ich teilten uns eines. Der Chefarzt, wie wir später sahen, genehmigte sich allein sogar zwei.
    Er war Ende dreißig. Mit seinem leichten Bauchansatz sah er allerdings sehr gemütlich und etwas älter aus, und weil er die Kollegen, die dazukamen, so überschwänglich begrüßte, wirkte er auf mich eher wie ein Teenager als der Chefarzt eines großen Krankenhauses.
    Ich hatte mir vorgenommen, diesmal genügend Khat zu kauen, um die Wirkung beschreiben zu können. Von dem äthiopischen Khat kaut man die Spitzen der Zweige und die jungen Blätter. Man behält sie in der Backe und schluckt nur den Saft.
    Sie haben einen frischen Geschmack, wie Grashalme aus einem gepflegten Vorgarten vielleicht, und sie prickeln etwas im Mund und machen ihn fürchterlich trocken. Niemand würde kauen, ohne Wasser, Limonade oder Tee bereitgestellt zu haben. Und selbst, als wir in Somalia durch die Wüste fuhren, haben die Kauer ihr kostbares Wasser zum Khat-Genuss verwendet.
    Die in der Backe hellgrün gewordene Masse spuckt man erst aus, wenn die Wirkung stark genug ist. Früher dachte ich, man darf den Brei deshalb nicht hinunterschlucken, weil sie dem Magen schadet. Aber in Harar, wo der Khat angebaut wird, habe ich gemerkt, dass das einfach nur Gewohnheit ist. Dort zerstößt man die frischen Triebe nämlich mit etwas Wasser und Zucker in einem Mörser und löffelt den grünen Brei wie einen Pudding. Die Droge ist dort so billig, dass man sogar Obdachlose auf der Straße liegend sich dem Rausch hingeben sieht. Und kaum ein Handwerker würde dort einen Hammerschlag oder Hobelstreich tun, ohne am Morgen seine Khat-Mischung gelöffelt zu haben.
    Es dauerte eine Weile, vielleicht eine Dreiviertelstunde, bis ich die erste Wirkung bemerkte. Zuerst wurden meine Ohren heiß, dann mein ganzer Kopf. Gleichzeitig wurden meine Sprech- und Gesichtsmuskeln gelähmt. Ich fühlte mich gleichermaßen betäubt und angeregt, irgendwie trunken und berauscht, aber auch wieder wie auf Kohlen und gierig aufzuspringen, um etwas zu unternehmen.
    Nach zwei Stunden überwog aber eindeutig die beruhigende Wirkung. Ich wollte und konnte kaum mehr sprechen und hörte nur noch zu, wenn der Chefarzt seine Theorien über den Kardinalfehler der somalischen Politik, um den Lärmpegel in der Runde zu übertönen, in mein Ohr schrie.
    Am schlimmsten war an diesem Nachmittag jedoch die Wirkung auf meine Beine. Dass meine Knie weich wurden, kannte ich schon vom Kauen aus Nairobi. Aber diesmal war es viel schlimmer. Möglicherweise waren sie auch vom langen Sitzen eingeschlafen. Nach drei Stunden hatte ich auf jeden Fall das bestimmte Gefühl, sie würden mich nicht mehr tragen.
    Ich musste mich anstrengen, ein immer wiederkehrendes Bild vor meinen Augen zu verscheuchen: Meine Beine waren umgeknickt wie dürre Strohhalme, und ich lag auf dem Boden und hatte Mühe, mein Gesicht vom roten Filzboden zu heben, um jemanden in der Runde um Hilfe zu bitten.
    Ich wurde panisch. Auf keinen Fall wollte ich mir vor dieser Runde eine Blöße geben. Zwar fanden beim Chefarzt öfter solche Khat-Runden statt, aber mir kam es so vor, als würde diese speziell für mich aufgeführt. Nicht nur wurde mir jeder neue Gast vorgestellt, sondern es wurden mir auch – zumindest am Anfang, als ich noch reagieren konnte - alle Geschichten erzählt. Wenn ich nicht zustimmend brummte oder nickte oder meine Aufmerksamkeit jemand anderem schenkte, hörten die Erzähler schnell auf zu erzählen.
    Ich war sogar noch etwas mehr als der Ehrengast. Denn das Buhlen um meine Aufmerksamkeit hatte noch einen anderen Aspekt. Schon im Krankenhaus hatte ich den Eindruck, so viele Ärzte waren zu Dr. Mohammed und mir ins Büro geströmt, weil es einen Weißen zu begutachten gab.
    Als ich noch neu war in Afrika, habe ich noch darüber gestaunt, dass Weiße in Afrika so bewundert werden. Nach einer Weile jedoch konnte ich das gut verstehen. Denn von Afrika aus erscheint die Welt in zwei ungleiche Hälften geteilt. Auf der einen Seite gibt es die

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