Afrika Quer (German Edition)
durfte ich es auch nicht - offenbar weil er sonst etwas von seinem Honorar an den Hotelbesitzer hätte abführen müssen.
Aber dafür hatte Herr Endalle eine gute Nachricht für mich. Im Rimbaud-Haus hatte Rimbaud nie gewohnt. Wie auch! Sein wirklicher Wohnort war ja in diesem Hotel.
In verschwörerischem Tonfall berief er sich für diese nicht unspektakuläre Information auf einen französischen Journalisten, der das herausgefunden hat. Damals beherbergte dieses Haus natürlich noch kein Hotel. Es sah unauffällig aus, leicht vom Zahn der Zeit gezeichnet, einstöckig, mit himmelblauen Fensterläden - Herr Endalle: „Sie haben dieselbe Farbe wie damals” Aber im Endeffekt war es auch kein unwahrscheinlicherer Wohnort Rimbauds als andere Häuser in Harar auch.
Am Tag schlürften dort im Erdgeschoss unbedarft aussehende Passanten ihren Capuccino. Und als ich am Abend in Ruhe ohne Herrn Endalle noch einmal hinging, hatte es sich in eine der spärlich beleuchteten äthiopischen Bars verwandelt, in denen knallbunte, naive Bilder an die Wände gemalt sind, „Cool and the Gang” aus den Lautsprechern plärrte, und Mädchen von zweifelhaftem Leumund in den Ecken herumstanden. Der verliesartige Keller hätte Rimbaud sicher gefallen. Schade eigentlich, dass er ihn wahrscheinlich nie gesehen hat.
Aber dann, als ich ein bisschen gelangweilt im Hotel Mekonnen herumstand, war mir plötzlich klar, dass es völlig unerheblich war, in welcher Straße oder in welchem Haus Rimbaud gewohnt hat. Ich schaute mich in der Bar um, sah Leute, die gar nicht redeten oder jeden Tag über dasselbe, weil ja auch nichts passierte in Harar, über das zu reden lohnte. Und auf einmal wusste ich Bescheid.
Um etwas über Rimbauds Zeit in Harar zu erfahren, musste ich durch die konkreten Häuser und Mauern schauen. Es kam nicht an auf ihre Bauweise, ihre Namen, ihre damalige oder heutige Funktion, sondern darauf, wofür sie standen.
Genau solche Orte wie das Mekonnen, wo aus jeder Ecke die Idiotie des afrikanischen Kleinstadtlebens lugte, mussten es gewesen sein, die Rimbauds gallige Briefe an seine Mutter und seine Schwester in den französischen Ardennen inspiriert haben. Ohnehin hatte sich Harar seit Rimbauds Zeit bis zur Unkenntlichkeit verändert. Vom alten Harar war nichts mehr übrig geblieben. Das einzige, was von damals noch geblieben war, war das Gefühl, hier in der Provinz begraben zu sein.
Für jemanden, der Rimbauds Briefe an seine Mutter und seine Schwester in Frankreich liest, scheinen sie voller zügellosem Hass und nicht aufzulösender Verzweiflung. Sie sind voller giftiger Ausbrüche gegen die „Neger“.
Aber ich wusste, wie sie zustande kamen, denn ich kannte diese Ausbrüche. Oh, wie ich sie kannte! Wie jeder Expatriate sie kannte, wenn Afrika wieder einmal alle sorgfältig gedrechselten Pläne durcheinandergewirbelt hat, wie ein frischer Frühlingswind fein säuberlich gestapelte Papierstöße.
„Es ist mir immer sehr langweilig“, schrieb Rimbaud 1887 aus Harar an seine Familie. „Ehrlich gesagt, habe ich niemals jemanden gekannt, dem mehr langweilig war als mir. Und ist das nicht wirklich ein jämmerliches Leben, so ganz ohne Familie, ohne irgendeine intellektuelle Tätigkeit, verloren inmitten dieser Neger, deren Schicksal man gerne verbessern würde, die selbst aber nur versuchen, einen auszunutzen und davon abzuhalten, ohne ewige Verzögerungen Geld zu verdienen. Ich muss ihr Kauderwelsch sprechen, ihr dreckiges Essen essen und wegen ihrer Faulheit, ihrer Falschheit und ihrer Dummheit tausend Enttäuschungen hinnehmen. Aber das ist nicht das Schlimmste. Das Schlimmste ist die Angst, ganz langsam so unzivilisiert zu werden wie sie, so isoliert, wie man ist, und so weit weg von jeder intelligenten Gesellschaft.“
Das ist kein Brief nach einer paar Monaten Frust in den „heißen Ländern“, sondern einer nach sieben Jahren. Und es gibt einige davon. Schon bald, nachdem er in Harar angekommen war, schrieb Rimbaud: „Lasst mich euch sagen, mein Leben hier ist wirklich idiotisch und verdummend.“ Oder ein bisschen später: „Ich gewöhne mich an dieses Leben voller Mühsal. Ich lebe von meinem Ärger, der so brutal ist und so sinnlos. Was soll ich euch über meine Arbeit hier erzählen, die so abstoßend ist, oder über dieses Land, das fürchterlich ist, usw.? Ich kann euch nur über die Kämpfe berichten, die ich ausstand, und die schrecklichen Mühen, und alles was sie mir eingebracht haben, sind das
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