Afrika Saga 02 - Feuerwind
dir entfernt ist. Es hat keinen Zweck, wegzurennen, das Nashorn ist schneller, würde dich erst aufspießen und dann in den Boden rammen. Erst im allerletzten Moment musst du zur Seite springen. Es wird nicht rechtzeitig bremsen können, sondern vorbeirasen, und das verschafft dir das Quäntchen Zeit, um auf den nächsten Baum zu klettern. Dann bist du erstens mit dem Leben davongekommen und hast zweitens erfahren, ob du ehrlich mit dir selbst warst.«
Leon hielt ihrem bohrenden Blick stand und schwor schweigend, sich dem nächsten Nashorn, das er in freier Wildbahn antreffen würde, zu stellen. Behutsam schloss er die Kabinentür.
Die Emilie Engel ließ die Elbe hinter sich und dampfte mit heulenden Schiffssirenen an der Kugelbake von Cuxhaven vorbei in die Nordsee.
Im weiten Bogen drehte das Schiff und machte sich durch das eisgraue, tobende Meer auf den Weg nach Süden. Maria wickelte sich fest in ihren Schal und warf vom Deck aus einen letzten Blick zurück auf das Land ihrer Vorväter, spürte zu ihrem Erstaunen etwas wie melancholisches Bedauern. Oder war es gar das Gefühl, einen Verlust zu erleiden? Sie schniefte, aber natürlich nur, weil ihr in der Kälte die Nase lief.
»Lass uns in den Salon gehen und eine warme Brühe trinken«, schlug Leon vor, der neben ihr stand und die Kälte nicht zu spüren schien. Er legte ihr den Arm um die Schultern und wollte sie mit sich ziehen.
Sie schüttelte ihn ab, bohrte störrisch ihre blau gefrorenen Hände in die Manteltaschen. Es hatte begonnen zu regnen. »Nein, jetzt nicht.
Ich muss erst zu Ende auspacken … Außerdem will ich allein sein …«
Damit floh sie unter Deck.
Leon sah ihr nach, bemerkte nicht zum ersten Mal diesen unbeschreiblichen Goldton ihrer Haut, und fragte sich, ob das überall zutraf. Auf ihrem Bauch zum Beispiel, ihrer Brust oder an den Oberschenkeln? Hitze kroch ihm in die Glieder trotz der Eiseskälte. Er musste nur daran denken, diese seidige Haut zu berühren, und schon wurde ihm unwinterlich heiß. Auch ihre Augen waren braun. Nein, dachte er, die Beschreibung war läppisch. Braun war vieles.
Aktentaschen, Kaffeebohnen, geteerte Holzbalken, Schokolade auch.
Goldbraun waren sie, das klare Goldbraun von altem Cognac, und wie sollte er nur die Lichtpünktchen beschreiben, die wie Goldflitter darin funkelten, die aufleuchteten, wenn sie lachte, geradezu glühten, wenn sie zornig wurde? Während er sich mit diesem Problem beschäftigte, bewegten sich seine Beine ohne sein Zutun, und kurz darauf fand er sich vor Marias Kabine wieder. Er lehnte seine Stirn dagegen, hob die Hand und klopfte.
Als Antwort drehte Maria ungestüm den Schlüssel im Schloss herum, warf Schal und Mantel auf die Koje, kniete sich aufs Bett und starrte durch das Bullauge hinaus in die kalte, graue Welt. Sie starrte, bis ihr die Tränen kamen und sie sich sicher war, dass sie in der wirbelnden Gischt, weit, weit weg, am südlichen Horizont, einen hellen Lichtschein erkennen konnte.
Afrika!
Sie presste ihre Stirn ans kalte Glas, sehnte sich danach, dem wollenen Gefängnis der schweren Winterkleidung zu entkommen, Luft und Sonne an ihre Haut zu lassen, barfuß zu laufen, ihr Haar offen zu tragen, dass der Wind damit spielen konnte, sehnte sich nach der Wärme Afrikas.
Leises Klopfen an der Tür unterbrach erneut ihre Gedanken.
»Maria, bitte, darf ich hereinkommen?«
Leon Mellinghoff. Immer noch. Schon wollte sie ihn wegschicken, als etwas Seltsames geschah. Das Verlangen danach, seine Stimme zu hören, jetzt, auf der Stelle, überfiel sie. Ihr dürstete plötzlich danach wie einem Wüstenwanderer nach Wasser. Ihr wurde erst heiß, dann kalt, ihr Herz jagte wie damals in der dunklen Bibliothek, in diesem strahlenden Augenblick, als sie sich in ihn verliebt hatte. Hastig rutschte sie vom Bett und öffnete den Türriegel.
Er stand vor ihr, öffnete den Mund, blieb aber stumm wie ein Fisch, setzte wieder an, etwas zu sagen, aber auch das blieb nur ein Versuch. Flehentlich schaute er sie an, räusperte sich, probierte es noch einmal, und dann kam's heraus.
»Ich liebe dich.« Die Tür fiel ins Schloss.
Die Worte schwirrten auf schimmernden Flügeln durch den Raum.
Maria spürte ihre hauchzarte Berührung. Ihr Atem kam zitternd. Sie musste ihren Kopf in den Nacken legen, um ihn anzusehen, und dann sah sie es wieder, dieses Mal ganz deutlich. Das Lachen, die Neugier, diese Lust auf Leben. Die Energie, die von ihm ausging wie Sonnenstrahlen.
»Leon«, sagte sie.
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