Afrika Saga 02 - Feuerwind
Helligkeit und Wärme ihrer Heimat. Ihr Herz hüpfte, und sie wünschte sich, mit dem Sonnenlicht reisen zu können, konnte kaum den Gedanken aushalten, dass sie erst in Wochen ihren Fuß auf den Boden Afrikas setzen würde. Doch sie würde die Zeit nutzen. Sie hatte sich in einer Buchhandlung, die sich auf Lehrbücher für die Universität spezialisiert hatte, alle Bücher über die medizinischen Wissenschaften gekauft, die sie finden konnte. Der verwirrte Buchhändler hatte gefragt, ob sie diese an einen Studenten der Medizin verschenken wollte. Sie hatte ihn angesehen, gelächelt und genickt.
Am Hafen angekommen, sprang sie voller Energie aus dem Wagen, gab dem Kutscher die Nummer ihrer Kabine und drängte, nur ihre kleinere Reisetasche tragend, durch die Menschenmenge, die sich zum Abschied der Emilie Engel auf dem Kai versammelt hatte. Sie entdeckte eine von Elise Mellinghoffs Freundinnen und grüßte sie mit einem Nicken, sonst fand sie kein bekanntes Gesicht. Im Grunde war ihr das auch lieber, obwohl sie sich schon ein wenig verlassen zwischen all diesen Abschiedsszenen vorkam. Unwillkürlich wanderten ihre Gedanken zu Leon, und zu ihrem Verdruss spürte sie ein Brennen in den Augen. Sie blinzelte energisch, zwang sich, die Bullaugen im Schiffsrumpf zu zählen, um sich abzulenken. Nachdem sie diese zweimal durchgezählt hatte, waren ihre Augen wieder trocken.
Hinter dem Kutscher, der ihren Koffer schleppte, stieg sie die Gangway hinauf. Sie hatte auf einer Außenkabine backbords bestanden, da sie vorhatte, die Reise über hauptsächlich in der Kabine zu bleiben, weil sie die Gesellschaft anderer Menschen im Augenblick nicht interessierte und weil die innen liegenden Kabinen in den tropischen Breiten so entsetzlich stickig wurden. Außerdem wollte sie jeden Morgen schon beim Aufwachen den Sonnenaufgang über dem Meer sehen und nicht verpassen, wenn Afrika sich endlich über den Horizont schob. Glücklicherweise hatte ihr Geld dafür noch gereicht.
Sie warf ihre Handschuhe und den Hut auf die schmale Koje, wickelte sich aus dem Schal, behielt aber den Mantel an, denn es war empfindlich kalt, selbst hier drinnen. Doch es störte sie nicht. Schon südlich der Biskaya würde es erträglicher werden, und spätestens wenn sie die spanische Küste hinter sich gelassen hatten, würden die Temperaturen schnell ansteigen und jeder an Bord über die Hitze stöhnen. Ich nicht, dachte sie, ich ganz bestimmt nicht.
Rasch gab sie dem Kutscher ein Trinkgeld und schloss die Tür hinter ihm und damit auch das Kapitel Mellinghoff.
Von draußen schallten gebrüllte Kommandos, Gesang eines Chors, der einen Missionar verabschiedete, und die vielstimmigen Abschiedsrufe derer, die zurückbleiben mussten. Einem Impuls folgend, weil sie doch einen letzten Blick auf Hamburg werfen wollte, schlang sie sich den dicken Schal wieder um den Hals, ergriff Hut und Handschuhe und stieg an Deck.
Sie schlängelte sich durch die Menge, bis sie direkt an der Reling stand und in das rosa Meer der Gesichter tief unter ihr am Kai blickte.
Der dröhnende Ruf des Schiffshorns hallte über den Hafen, Kommandos wurden gebrüllt, die Leinen gelöst, und ganz allmählich weitete sich der Spalt Wasser zwischen dem Anleger und der steilen Schiffswand. Unter ihr vibrierte das Deck, die Schiffsmotoren wummerten. Sie waren auf ihrem Weg.
Gelöst winkte sie hinunter in die Menge, auch wenn keiner der Abschiedsrufe ihr galt, und schaute ohne Bedauern zu, wie Hamburgs Silhouette im kalten Morgendunst versank.
Vor ihr lagen das Meer, das Licht, vor ihr lag Afrika.
»Ich kann es kaum erwarten, Afrika zu sehen«, sagte ein Mann neben ihr.
Sie wollte ihn ignorieren, wollte allein bleiben, doch irgendetwas in dem Nachhall der Stimme veranlasste sie, den Kopf zu wenden und den Sprecher anzusehen.
Da stand er und lachte, die himmelblauen Augen funkelten, seine Zähne blitzten, das blonde Haar wehte im Wind. Er schien zu platzen vor lauter Lebensfreude.
Maria starrte ihn an, klammerte sich an der Reling fest, um nicht umzufallen, schloss die Augen, zählte bis drei und öffnete sie vorsichtig wieder. Er stand noch immer da.
Mit beiden Händen packte er ihre und legte sie an seine Lippen.
»Ich bin kein Geist«, sagte er. »Fühlst du es? Fühlst du, dass jede Faser meines Körpers dich liebt?«
»Leon«, brachte sie endlich hervor, aber zu mehr war sie nicht fähig.
»Du hast doch nicht ernsthaft geglaubt, dass mein Vater es schafft, mich mit dieser
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