Afterdark
ungeschickt, als suchten sie etwas, wie selbständige kleine Lebewesen über die Bettdecke. Dabei entblößen sie den schlanken Hals. Als erforschten sie unsicher die Bedeutung des eigenen Körpers.
Alsbald öffnen sich die Lider, schließen sich jedoch sofort wieder, geblendet vom Licht der Neonröhren an der Decke. Eris Bewusstsein scheint sich gegen das Erwachen zu wehren, sich der realen Welt dort zu verweigern und in der rätselhaften, weichen Dunkelheit endlos weiterschlafen zu wollen. Andererseits streben ihre Körperfunktionen offenkundig auf das Erwachen zu. Sie verlangen nach neuem, natürlichem Licht. Diese beiden Kräfte stehen in Eri im Widerstreit, doch am Ende trägt die ursprüngliche Kraft, die sie drängt aufzuwachen, den Sieg davon. Die Lider öffnen sich wieder. Langsam schlägt Eri die Augen auf, aber sie ist sehr geblendet. Die Neonröhren sind zu hell. Sie bedeckt die Augen mit den Händen. Dreht sich zur Seite, legt eine Wange auf das Kissen.
Zeit verstreicht. Für drei, vier Minuten liegt Eri Asai mit geschlossenen Augen da, ohne ihre Haltung zu verändern. Ist sie wieder eingeschlafen? Nein. Sie braucht Zeit, um die Welt in ihr erwachendes Bewusstsein eindringen zu lassen. Bei der Regulierung der Körperfunktionen eines Menschen, der in einen Raum mit anderen Druckverhältnissen transportiert wurde, spielt die Zeit eine entscheidende Rolle. Eris Bewusstsein nimmt wahr, dass eine unvermeidliche Veränderung eingetreten ist, und versucht diese, wenn auch widerstrebend, zu akzeptieren. Sie verspürt eine leichte Übelkeit. Ihr Magen zieht sich zusammen, wahrscheinlich wird sie sich gleich übergeben müssen. Doch als sie mehrmals tief durchatmet, vergeht die Übelkeit. Stattdessen treten verschiedene andere unangenehme Empfindungen auf. Ein taubes Gefühl in Armen und Beinen, leichtes Ohrensausen, Muskelschmerzen. Das liegt daran, dass sie zu lange in einer Position geschlafen hat.
Wieder vergeht einige Zeit.
Es dauert nicht lange, da richtet sie sich im Bett auf und sieht sich mit verschwommenem Blick um. Der Raum ist außergewöhnlich groß. Niemand da. Wo bin ich hier überhaupt? Was tue ich hier?
Sie versucht, sich zu erinnern. Doch jede Erinnerung entschlüpft ihr sofort wie ein kurzer Faden. Sie weiß nur, dass sie bis gerade eben noch hier geschlafen hat.
Beweis dafür ist, dass ich im Bett liege und einen Pyjama trage. Es ist mein Bett und mein Pyjama, kein Zweifel. Aber das ist nicht mein Zimmer. Mein ganzer Körper ist steif. Ich muss sehr lange und sehr tief geschlafen haben. Keine Ahnung, wie lange. Wenn ich nachdenke, fangen meine Schläfen an zu pochen.
Spontan steigt sie aus dem Bett, setzt behutsam die nackten Füße auf den Boden. Sie trägt einen Pyjama. Einen einfarbig blauen Pyjama aus einem glatten Stoff. Die Luft im Zimmer ist unangenehm kalt. Sie nimmt die dünne Bettdecke und schlingt sie sich um. Sie versucht zu gehen, aber sie kommt nicht vorwärts. Ihre Muskeln erinnern sich nicht mehr daran, wie man richtig geht, aber sie strengt sich an und setzt einen Fuß vor den anderen. Der glatte Linoleumboden schätzt sie sehr dienstlich ab und verhört sie. Wer bist du, und was machst du hier?, erkundigt er sich frostig. Aber natürlich kann sie diese Frage nicht beantworten.
Sie geht ans Fenster, legt beide Hände auf das Fensterbrett und späht angestrengt durch die Scheibe nach draußen. Doch vor dem Fenster ist keine Landschaft, nur ein farbloser Raum, ein rein abstraktes Konzept. Sie reibt sich die Augen, atmet tief ein und schaut wieder hinaus. Doch es ist wirklich nichts als Leere zu sehen. Sie versucht, das Fenster zu öffnen, aber es geht nicht auf. Der Reihe nach probiert sie alle Fenster durch, doch sosehr sie sich auch bemüht, sie sind wie zugenagelt. Ihr kommt der Gedanke, dass sie vielleicht auf einem Schiff sein könnte, denn in ihrem Körper verspürt sie dieses leichte Schwanken. Ja, möglicherweise bin ich auf einem großen Schiff, denkt sie. Und die Fenster sind verschweißt, damit keine Wellen hineinschwappen. Sie lauscht auf das Brummen eines Schiffsmotors oder das Schlagen von Wellen an den Schiffsrumpf. An ihre Ohren dringt jedoch nur ununterbrochene Stille.
Sie unternimmt einen langsamen Rundgang durch den Raum, berührt die Wände und bewegt die Schalter. Doch ganz gleich welchen sie wie umschaltet, die Neonröhren an der Decke lassen sich nicht löschen. Nichts geschieht. Das Zimmer hat zwei Türen, ganz gewöhnliche Türen aus Furnier. Sie
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