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Afterdark

Afterdark

Titel: Afterdark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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dreht am Türknauf der einen. Er dreht sich ergebnislos ins Leere. Sie kann drücken und ziehen, soviel sie will, es tut sich nichts. Das Gleiche bei der anderen Tür. Alle Türen und Fenster senden ihr Signale der Verweigerung, als wären sie allesamt selbständige Lebewesen.
    Unwillkürlich hämmert sie mit beiden Fäusten an die Türen. Sie hofft, dass jemand den Lärm hört und eine von außen öffnet. Doch so fest sie auch dagegen schlägt, der Ton bleibt fast unhörbar leise. Er ist so schwach, dass sie ihn nicht einmal selbst richtig hört. Niemandem (selbst wenn draußen jemand sein sollte) würde er auffallen. Nur ihre Hände schmerzen. Sie verspürt Schwindel. Das Schwanken in ihrem Körper ist nun viel stärker als vorhin.
    Uns wird bewusst, dass der Raum Ähnlichkeit mit dem Büro hat, in dem Shirokawa spät nachts gearbeitet hat. Die Ähnlichkeit ist wirklich groß. Oder es ist sogar ein und derselbe Raum. Allerdings ist er jetzt völlig leer, restlos jedes Dekors, aller Möbel und Geräte entkleidet. Nur die Neonlampen an der Decke sind geblieben. Alle Gegenstände wurden aus dem Zimmer transportiert, und die letzte Person hat die Tür hinter sich geschlossen. Das Zimmer wurde von der Welt vergessen und auf den Meeresgrund versenkt. Nur die Stille, die die vier Wände aufgesogen haben, und der schimmlige Geruch geben Eri und uns Hinweise auf den Lauf der Zeit.
    An die Wand gelehnt, hockt Eri sich auf den Boden, schließt ruhig die Augen, bis der Schwindel und das Schwanken sich gelegt haben. Als sie sie wieder öffnet, hebt sie etwas auf, das in ihrer Nähe zu Boden gefallen ist. Es ist ein Bleistift mit einem Radiergummi und der Aufschrift VERITECH. Der gleiche silberfarbene Bleistift, den Shirokawa benutzt hat. Die Spitze ist stumpf geworden. Lange betrachtet sie den Bleistift in der Hand. Der Name VERITECH sagt ihr nichts. Der Name einer Firma? Irgendein Produktname? Sie weiß es nicht und schüttelt leicht den Kopf. Außer diesem Bleistift ist nichts zu entdecken, das Auskunft über den Raum gehen könnte.
    Sie kann nicht begreifen, warum sie ganz allein hierher versetzt wurde. An einen Ort, den sie nie zuvor gesehen hat, der ihr völlig unbekannt ist.
    Wer hat mich hierher gebracht und zu welchem Zweck? Bin ich vielleicht gestorben? Und im Totenreich?
    Sie setzt sich auf das Bett und prüft diese Möglichkeit. Sie glaubt nicht, dass sie gestorben ist. Überdies wäre das Jenseits doch nicht so - dass man nach dem Tod unrettbar und allein in ein leeres Zimmer in einem verlassenen Bürogebäude eingeschlossen würde. Vielleicht ein Traum? Nein, für einen Traum hängen die Dinge zu folgerichtig zusammen, die Einzelheiten sind zu konkret und deutlich. Ich kann die Dinge hier praktisch mit den Händen berühren. Sie bohrt sich die Bleistiftspitze fest in den Handrücken und macht sich den Schmerz bewusst. Sie leckt an dem Radiergummi und nimmt den Geschmack von Gummi wahr.
    Sie kommt zu dem Schluss, dass all das wirklich ist. Aus irgendeinem Grund ist eine Realität anderer Art an die Stelle der ursprünglichen getreten.
    Ob es nun eine Realität ist, die irgendwoher gebracht wurde, oder ob irgendwer mich hierher transportiert hat, jedenfalls bin ich in diesem seltsamen, staubigen Zimmer ohne Aussicht und ohne Ausgang ganz allein ausgesetzt und eingeschlossen. Ob ich verrückt geworden bin? Und darum in so etwas wie eine Anstalt geschickt wurde? Nein, das kann nicht sein. Wenn man es sich recht überlegt - wer nähme denn schon sein eigenes Bett mit ins Krankenhaus? Vor allem sieht dieser Raum hier auch gar nicht aus wie ein Krankenzimmer. Auch nicht wie eine Gefängniszelle. Er ist da, einfach ein großer, leerer Raum.
    Sie geht wieder zum Bett und streicht über die Zudecke. Schlägt auf das Kissen. Aber es sind eine ganz gewöhnliche Decke und ein ganz gewöhnliches Kissen, weder Symbole noch Ideen. Eine reale Decke und ein reales Kissen, die ihr keine Hinweise liefern. Eri betastet ihr Gesicht mit den Fingerspitzen. Sie befühlt ihre Brüste unter dem Pyjama. Sie vergewissert sich, dass sie ihr übliches Selbst ist, mit schönem Gesicht und wohlgeformten Brüsten. Mein Körper ist mein Vermögen, geht es ihr durch den Sinn. Plötzlich ist sie sich nicht mehr sicher, ob sie wirklich sie selbst ist.
    Das Schwindelgefühl ist verschwunden, aber das Schwanken dauert an. Sie hat das Gefühl, als würde ihr von einer Seite der Boden unter den Füßen fortgezogen. Das Innere ihres Körpers verliert die

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