Afterdark
trotz einer angemessenen Distanz nahe kommen, oder?«, sagt Mari.
»Natürlich«, sagt Takahashi. »Natürlich geht das. Aber was manche für eine angemessene Distanz halten, ist für andere vielleicht ein bisschen zu weit weg.«
Eine große braune Katze taucht auf und reibt ihren Kopf an Takahashis Beinen. Er beugt sich vor, um sie zu streicheln. Dann nimmt er die Fischbällchen aus der Tasche, reißt das Plastik auf und gibt ihr die Hälfte. Die Katze frisst mit Genuss.
»War das Eris persönliches Problem?«, fragt Mari. »Dass sie ihrer jüngeren Schwester nicht näher kommen kann?«
»Eines ihrer Probleme. Aber nicht das einzige.«
Mari schweigt.
»Während unseres Gesprächs hat Eri alle möglichen Medikamente geschluckt. Ihre Prada-Tasche war voll damit. Sie hat sie zu ihrer Bloody Mary eingeworfen wie Erdnüsse. Natürlich alles legales Zeug, aber in rauen Mengen.«
»Sie war schon immer ein Pillenfreak. Nur ist es mit der Zeit immer schlimmer geworden.«
»Jemand sollte sie davon abbringen.«
Mari schüttelt den Kopf »Medikamente, Horoskope und Diäten - davon kann niemand sie abbringen.«
»Ich habe ihr zu verstehen gegeben, sie sollte vielleicht den Rat eines Spezialisten einholen, eines Therapeuten oder Psychologen. Aber das hatte sie anscheinend überhaupt nicht vor. Das heißt, sie merkt nicht mal, dass sich in ihrem Inneren etwas abspielt. Deshalb habe ich mir schon Sorgen gemacht, was wohl aus ihr geworden ist.«
Mari macht ein mürrisches Gesicht. »Dann solltest du sie anrufen und selbst fragen. Wenn du dich wirklich um sie sorgst.«
Takahashi seufzt ein bisschen. »Ich kann nur wiederholen, was ich schon bei unserem ersten Gespräch heute Abend gesagt habe. Wenn ich Eri am Telefon hätte, wüsste ich nicht, was ich mit ihr reden sollte.«
»Aber damals, als ihr zusammen was getrunken habt, habt ihr euch doch vertraulich unterhalten, oder? Über persönliche Dinge.«
»Stimmt schon, aber eigentlich habe ich fast überhaupt nichts gesagt. Die meiste Zeit hat Eri geredet, und ich habe bloß zugehört. Um es deutlich zu sagen, ich hatte nicht das Gefühl, dass ich ihr viel zu bieten hatte. Es sei denn, ich hätte mich tiefer auf sie eingelassen.«
»Und so tief wolltest du dich nicht einlassen.«
»Also, ich glaube, das kann ich nicht«, sagt Takahashi und krault die Katze hinter den Ohren. »Man könnte sagen, ich besitze nicht die Fähigkeit dazu.«
»Einfach ausgedrückt, so sehr interessierst du dich nicht für Eri?«
»Man kann auch sagen, ich interessiere Eri nicht besonders. Wie gesagt, sie brauchte einfach jemanden zum Reden. Ich war für sie nicht mehr als eine menschliche Wand, die mehr oder weniger passende Bemerkungen machte.«
»Aber interessierst du dich nun ernstlich für Eri oder nicht - ja oder nein?«
Verwirrt reibt Takahashi sich die Hände. Eine heikle Frage. Sehr schwer zu beantworten.
»Ja, ich glaube, ich interessiere mich für sie. Von deiner Schwester geht ein Strahlen aus - das muss eine natürliche Gabe sein, etwas Angeborenes. Zum Beispiel haben uns alle angestarrt, als wir etwas tranken und uns dabei so vertraut unterhielten. Sie fragten sich, wieso eine so schöne Frau sich mit so einer Null wie mir abgibt.«
»Aber-«
»Aber?«
»Denk doch mal nach«, sagt Mari. »Ich frage dich: Interessierst du dich ernstlich für Eri?< Und du antwortest: >Ich glaube, ich interessiere mich für sie.< Das Wort >ernstlich< hast du weggelassen. Ich habe das Gefühl, du hältst etwas zurück.«
Takahashi ist beeindruckt. »Du bist sehr aufmerksam.«
Mari wartet stumm darauf, dass er sich äußert. Takahashi zögert. »Nun ... also, wenn man sich länger mit deiner Schwester unterhält, beschleicht einen so ein seltsames Gefühl. Anfangs bemerkt man es nicht, aber mit der Zeit spürt man es deutlich. Wie soll ich sagen, man hat den Eindruck, man selber wäre nicht dabei. Sie sitzt zwar direkt vor einem, ist aber gleichzeitig meilenweit entfernt.«
Mari sagt noch immer nichts. Sie beißt sich leicht auf die Lippe und wartet darauf, dass er weiterspricht. Takahashi sucht lange nach den passenden Worten.
»Mit einem Wort, was ich sagte, erreichte ihr Bewusstsein nicht. Zwischen Eri und mir war so etwas wie eine transparente Schwammschicht, und die Worte aus meinem Mund wurden davon zum größten Teil aufgesogen. Das heißt, in Wirklichkeit hat sie das, was ich gesagt habe, gar nicht gehört. Schon beim Reden habe ich das bemerkt. Und ihre Worte kamen auch nicht
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