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Agent 6

Titel: Agent 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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ein, was Nara Zeit gab, mit der Übersetzung aufzuholen. Leo zog seine Notizen aus der Tasche, die er aus Elenas Tagebuch abgeschrieben hatte. Er sagte zu Nara:
    – An dem Tag, an dem Jesse Austin getötet wurde, ist meine Tochter nach Harlem gekommen. Sie wollte ihn dazu überreden, vor den Demonstranten bei dem UN -Gebäude eine Rede zu halten. Dabei ist sie einem FBI -Agenten begegnet, der aus Austins Wohnung kam. In ihrem Tagebuch nennt sie ihn Agent 6. Frag sie bitte, ob sie eine Ahnung hat, wer das sein könnte.
    Yolande dankte der Kellnerin, die gerade ging, dann antwortete sie:
    – Ein FBI -Agent bei Jesses Wohnung. Es gab da jemanden, der immer wieder hingegangen ist. Ich weiß nicht mehr, wie er hieß. Anna – Austins Frau – hat meinem Vater von ihm erzählt. Sie war so lieb, sie hat fast nie etwas Böses über jemanden gesagt, aber diesen Agenten hat sie unglaublich gehasst.
    Yolande rieb sich über den Kopf und versuchte, auf den Namen zu kommen. Verärgert darüber, dass er ihr nicht einfallen wollte, nippte sie an ihrem Kaffe. Eine Weile lang saßen sie schweigend da. Leo beobachtete sie und wartete.
    Obwohl ihre erste Zigarette noch brennend auf dem Aschenbecher lag, zündete Yolande eine neue an, nahm einen Zug und blies den Rauch in die Luft.
    – Es tut mir leid. Ich komme nicht darauf.
    Sie log. Leo hatte gesehen, wie sich ihr Gesichtsausdruck verändert hatte, wie sie erst überlegt hatte und der Name ihr dann eingefallen war. Sie hatte versucht, den Moment mit Rauchen zu überspielen, als sie daran erinnert wurde, welchen Preis ihr Vater für sein Engagement bezahlt hatte. Die Erinnerung an den Namen von Agent 6 brachte die Erinnerung mit sich, was für ein Mann er war. Leo musste an Elenas Beschreibung von Agent 6 denken.
    Er macht mir Angst.
    Yolande hatte Angst.
    Leo wandte sich an Nara.
    – Erklär Yolande, dass ich verstehe, warum sie damit nichts zu tun haben will. Versprich ihr, dass ich ihren Namen niemals verraten würde. Und sag ihr, dass ich herausfinden werde, was an diesem Abend passiert ist, mit oder ohne ihre Hilfe.
    Nachdem Yolande sich die Übersetzung angehört hatte, beugte sie sich nah zu Leo.
    – Der Mord an Jesse ist ein Geheimnis, das lange begraben war. Nicht viele Menschen wollen, dass Sie die Wahrheit ausgraben. Nicht einmal die Menschen in dieser Gegend. Die Zeiten haben sich geändert. Wir kümmern uns um andere Dinge.
    Sie sah Leo in die Augen.
    – Ich sehe bei Ihnen die gleiche Entschlossenheit wie früher bei meinem Vater. Und mein Vater hätte mir nie verziehen, wenn ich Ihnen nicht helfe.
    Sie seufzte.
    – Agent 6 hieß mit ziemlicher Sicherheit Yates, Agent Jim Yates.

New Jersey
Am nächsten Tag
    Nara hatte während der Busfahrt von New York die meiste Zeit über geschwiegen und aus dem Fenster gestarrt. Seit ihr klar geworden war, welche Konsequenzen drohten, glaubte sie immer mehr, dass die Nachforschungen ihr Asyl in den USA ernsthaft bedrohten. Sie hielt es für keine gute Idee, einen umstrittenen Fall aufdecken zu wollen, während ihr Leben vom Wohlwollen ihrer amerikanischen Gastgeber abhing. Was sie taten, war eine vorsätzliche Provokation und zum gegenwärtigen Zeitpunkt unklug. Es sollte weiterhin geheim bleiben, dass sie in Amerika waren. Was wollte Leo nach sechzehn Jahren noch erreichen? Es würde keinen Prozess geben, keine offizielle Verhaftung, er würde den Namen seiner Frau nicht reinwaschen können – er konnte die Geschichtsbücher nicht umschreiben. Obwohl sie diese Gedanken nicht laut aussprach und auch nicht versucht hatte, Leo von seiner Entscheidung abzubringen, spürte er ihre Zweifel so deutlich, als hätte sie jedes Wort gesagt. Vielleicht widersprach sie ihm ja auch deshalb nicht, weil sie spürte, dass eine Konfrontation mit Agent Yates unausweichlich war.
    Nach dem Gespräch in Nelson’s Restaurant hatte Yolande Leo und Nara mit zu sich nach Hause genommen und ihnen erlaubt, die umfangreiche Sammlung von Zeitungsartikeln durchzusehen, die ihr Vater über den Mord an Jesse Austin angelegt hatte. Yolande bewahrte das Buch mit den Presseberichten auf, als wäre es das offizielle Fotoalbum der Familie. In gewisser Weise war es das auch, weil es die einzigen Fotos enthielt, die sie von ihrem Vater aus der Zeit der Bürgerrechtsbewegung besaß. Die meisten Artikel kannte Leo bereits aus dem Bibliotheksarchiv, aber einige aus Lokalzeitungen oder das eine oder andere Flugblatt waren ihm noch nicht untergekommen. In

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