Agent 6
Haus verließ, heftete er einen Zettel an die Tür:
BITTE NICHT KLINGELN
BITTE NICHT ANKLOPFEN
Anfangs hatte darunter die Erklärung gestanden, es sei niemand zu Hause. Aber diese Zeile war gestrichen, weil seine Frau Angst hatte, sie könnte Einbrecher anlocken. Wenn er nach der Arbeit nach Hause kam, nahm er den Zettel wieder ab. Wann immer er wegging, und sei es für eine Stunde oder nur für fünf Minuten, überprüfte er alles und heftete den Zettel an die Tür. Seine Frau Diane reagierte nicht gut auf Störungen jeglicher Art.
Yates stieg in sein Auto und packte das Lenkrad, startete aber nicht den Motor. Er saß nur da und betrachtete sein Zuhause. Als sie das Haus kauften, hatte er es geliebt. Er hatte die Straße mit ihren schönen Vorgärten geliebt, die Parks und die verschiedenen Geschäfte in der Nähe. Im Sommer roch es nach frisch gemähtem Gras, und es schien immer kühler als in der Stadt zu sein. Die Leute winkten einem zu und grüßten. Nichts machte ihn so wütend wie Menschen, die es nicht zu schätzen wussten, dass sie in einem solchen Land leben durften. Die Rassenunruhen in Jersey City im letzten August waren eine Schande, Männer und Frauen hatten ihr eigenes Zuhause zerstört. Diese Unruhen zeigten, dass er zu Recht gegen die Aufhebung der Rassentrennung an den öffentlichen Schulen in Teaneck war. Viele Leute waren auf diese Entwicklung stolz gewesen und hatten sie als gesellschaftlichen Fortschritt bezeichnet. In der Öffentlichkeit hatte Yates nichts gesagt, aber er war davon überzeugt, dass es zu einem größeren Zustrom von außerhalb und damit zu Spannungen kommen würde. Das Paradies brauchte keinen Fortschritt. Die Bilder aus Jersey City, die eingeschlagenen Schaufensterscheiben und brennenden Autos, hatten ihn entsetzt. Vielleicht gab es in diesem Teil der Stadt ja wirklich Grund zur Klage, zu wenig Arbeit, immer irgendwelche Probleme, aber nur ein kranker Mensch, ein Blinder, würde sein eigenes Heim verwüsten. Yates würde dafür sorgen, dass sich so etwas hier nicht wiederholte.
Er fuhr die Einfahrt hinunter und machte sich auf den halbstündigen Weg nach Manhattan. Am Abend zuvor war er lange in der Stadt geblieben und hatte aufgepasst, dass jedes Mitglied der russischen Delegation, die im Grand Metropolitan wohnte, wirklich auf seinem Zimmer war. Nachdem er zum letzten Mal nachgesehen hatte und sich sicher war, dass niemand fehlte, hätte er nach Hause fahren sollen zu seiner Frau. Stattdessen hatte er eine Kellerbar namens Flute in der Nähe des Broadways besucht. Dort arbeitete eine Teilzeitkellnerin, mit der er sich seit drei Monaten traf. Sie war zwanzig Jahre jünger als er, bildhübsch und empfänglich für die meist erfundenen Geschichten, die er vom FBI erzählte. Sie lag dann nackt auf dem Bett, den Kopf in die Hände gestützt, während er mit aufgeknöpftem Hemd dasaß und von seinen Abenteuern berichtete. Es war fast so gut wie der Sex, wie sie gespannt jeder Anekdote lauschte und nachher Un-glaub-lich sagte, wie drei einzelne Wörter, als wäre es das größte Kompliment für einen Mann, unglaublich zu sein.
Eine echte Ehefrau wäre misstrauisch geworden. Er war morgens um vier nach Hause gekommen und leise die mit Teppich belegte Treppe nach oben gegangen, wo seine Frau Diane sich wie ein krankes Tier unter ihrer Decke zusammengerollt hatte. Es schienen Tage zu vergehen, ohne dass er sie je in einer anderen Haltung sah. Es war so heiß gewesen, dass er nicht schlafen konnte, und er hatte nackt auf der Bettdecke gelegen, am Körper immer noch Rebeccas Duft. Dabei hatte er nie fremdgehen wollen. Er rückte Untreue auch nicht in ein romantisches Licht. Er hatte ein guter Ehemann sein wollen, nichts hatte er sich mehr gewünscht. Er versuchte, Diane nicht die Schuld an dem schlechten Gewissen zu geben, das ihn Tag für Tag plagte. Manchmal war er so frustriert, dass er ihr Haus mit bloßen Händen auseinanderreißen wollte, Brett für Brett und Stein für Stein. Er wünschte, er könnte sein Leben noch einmal von vorn anfangen – er würde alles genauso machen, jedes Detail, bis auf Diane.
Seine Eltern hatten im letzten Jahr ihre goldene Hochzeit gefeiert. Sie hatten in ihrem Garten eine Party für über zweihundert Gäste gegeben. Die Leute waren aus anderen Staaten angereist, einige Paare waren sogar mit dem Flugzeug gekommen. Diane hatte es nicht geschafft. Yates hatte zwei Stunden lang auf sie eingeredet, mit der Faust auf den Tisch geschlagen, eine
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