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Agent 6

Titel: Agent 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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Mobilisierung der Frauen verändern zu können. Ein Manifest über die Geschlechterrollen würde kaum die Revolution einläuten. Also orientierte SERVICE.A sich neu und konzentrierte sich stattdessen auf die Rassenthematik. Anstelle von feministischen Büchern verteilte man in ausgesuchten Städten wie Atlanta, Memphis, Oakland und Detroit kostenlose Broschüren an den Straßenecken. Die Pamphlete sollten provozieren und trugen schockierende Schlagzeilen:
    • Schwarze verdienen im Schnitt $4000 – Weiße $7000!
    • Kindersterblichkeit bei Schwarzen dreifach höher!
    • Schwarze Familien leben dreimal häufiger in Armut!
    Elena und Mikael hatten oft im Bett gelegen und stundenlang darüber geredet, dass der Kommunismus vernachlässigt hatte, was ihn ausmachte – seinen eigentlichen Sinn und Zweck. Sie fand Mikaels Leidenschaft verführerisch und fühlte sich geschmeichelt, eingebunden zu werden. In ihrer Familie schien niemand ideologisch zu denken. Raisa sprach nur über politische Themen, wenn sie direkt ihre Schule betrafen. Leo schwieg sich aus, als wären ihm Kommentare verboten. Er tat Elena leid: Er hatte für einen Tyrannen arbeiten müssen und seinen Idealismus verloren. Für ihn gab es kein Zurück, er erhoffte sich nichts mehr. Er glaubte auch an nichts mehr, nur noch an seine Familie. Aber dass er desillusioniert war, bedeutete nicht, dass sie es auch sein musste. Sie glaubte an Mikael. Ihre große Schwester hatte ihr einmal anvertraut, dass sie sich verliebt hatte. Elena hatte die Gefühle, die ihre Schwester ihr beschrieben hatte, nie ganz begreifen können. Bis sie Mikael traf. Liebe hieß Bewunderung und Hingabe, Liebe hieß, alles für ihn zu tun, weil sie wusste, dass er alles für sie tun würde.
    Das Taxi hatte gerade die 120th Street passiert – sie war kurz vor ihrem Ziel, der 145th Street.

Harlem
Bradhurst
West 145th Street
Am selben Tag
    Auf dem Weg die Treppe hinunter kam Yates an den gleichen jungen Taugenichtsen vorbei, die sich auch vorhin auf den Fluren herumgedrückt hatten. Er nickte ihnen zu:
    – Viel zu tun heute, meine Herren?
    Als sie nicht antworteten, lachte Yates. Er bezweifelte, dass auch nur einer von ihnen ein einziges Lied nennen konnte, das Austin gesungen hatte. Die Rote Stimme hatte früher Millionen erreicht, jetzt war Austin vergessen, von Negern genauso wie von Weißen, von Reichen und von Armen. Wahrscheinlich wussten die jungen Kerle auf den Fluren nicht einmal, wer der alte Mann im obersten Stock war. Niemand, der jünger als dreißig war, würde sich an seinen Erfolg erinnern. Jesse wurde nicht mehr im Radio gespielt. Seine Platten standen nicht in den Läden. Die Zeitungen druckten seine Reden nicht mehr, und er wurde auch nicht von Hochglanzmagazinen interviewt. Der Mann war so schwach geworden, dass er nicht einmal seine Frau verteidigte, wenn sie vor seinen Augen beleidigt wurde. Die Karriere eines Mannes zu zerstören war eine Sache; das war relativ einfach. Etwas ganz anderes war es, seinen Willen zu brechen. Nachdem Yates gesehen hatte, wie sich Jesse bewegte, wie gebückt er in der Tür gestanden hatte und sich kaum hatte wehren können, sah er diesen besonderen Sieg schon zum Greifen nahe.
    Yates war erstaunt darüber, dass die Sowjets so oft Kontakt zu Austin gesucht und ihn inständig gebeten hatten, das Konzert an diesem Abend zu besuchen. Was erwarteten sie von ihm? Sie würden ihm nicht einmal eine Erlaubnis beschaffen können, das UN -Gebäude zu betreten. Yates war sicher, dass Austin gelogen hatte, dass er sehr wohl etwas wusste, und er spürte, dass etwas nicht stimmte – er hatte etwas übersehen, es gab einen Plan, den er nicht erkannte. Er hatte zu lange zu hart gearbeitet, um Jesse auch nur den Anschein eines letzten großen Auftritts im Rampenlicht zu erlauben.
    Deutlich nüchterner verließ er das Wohnhaus. Dabei klopfte er seine Taschen ab, weil er wieder vergessen hatte, dass die Zigaretten im Auto lagen. Neben ihm auf der Treppe lungerte ein weiteres Grüppchen junger Männer herum, zwei saßen auf den Stufen, zwei weitere standen vor ihnen. Für Versager wirkten sie lächerlich herausgeputzt, mit ordentlichem Hemd in der Hose, Weste und Jacke; zwei trugen sogar einen Schlips, als würden sie in der Bank arbeiten. Sie rauchten Selbstgedrehte. Yates ging zu ihnen.
    – Wäre einer der Herren so freundlich, mir auch eine zu drehen?
    Er hätte problemlos seine eigenen Zigaretten aus dem Auto holen können, aber so machte es mehr

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