Agenten kennen kein Pardon
dann zielte sie, dann drückte sie ab und rannte in die Gebüsche, den zerfetzten Vogelkörper aufzuheben. Sie rupfte ihn aus und briet das wenige Fleisch über dem Feuer oder legte es in die heiße Asche. Ohne Salz schlang sie es dann herunter, mit würgendem Schlucken. Das erstemal erbrach sie sich draußen vor der Hütte, aber am siebenten Tage aß sie es, weil sie Hunger hatte. Sie klopfte mit Steinen den Deckel des Medizinkastens hohl wie einen Topf und kochte in diesem Leichtmetallgefäß aus geschossenen Vögeln eine Bouillon, die sie Ralf langsam, geduldig, in stundenlangem Mühen zwischen die Lippen träufelte.
Er darf nicht sterben, dachte sie. Er muß weiterleben. Alles will ich tun, alles … Ich gehöre zu ihm auf Leben und Tod.
Am Abend des siebenten Tages ließ das Fieber etwas nach. Dr. Bouth schlief ruhig und fest, ohne zu fantasieren. In seinen Adern klopfte das heiße Blut … aber sein Körper lag still, er verkrampfte sich nicht mehr. Der Atem war rasselnd, aber gleichmäßig.
Leise erhob sich Mabel und steckte die beiden Revolver zu sich. Am Morgen hatte sie auf einem Tierpfad die Spuren von Wild gesehen. Wenn ich ein Reh schieße, können wir über zwei Wochen leben, freute sie sich. Wenn ich es schieße …
Sie deckte Ralf gut zu und verließ die Hütte. Die Dämmerung kroch über den Emmons Peak. Es hatte geregnet, die Erde roch faulig und war weich.
Sie ging vielleicht eine Viertelstunde, als sie hinter einem Waldstreifen Wasser blinken sah. Ein Fluß mit starken Stromschnellen wand sich durch ein Felsental und schoß mit großer Strömung weiter durch den Wald, aus dem er sich sein Bett gerissen hatte. Es war eine einsame, wilde Gegend, die selten ein Mensch betreten hatte. Ein Paradies für den Lachsfischer, aber eine Hölle für den Einsamen, der Menschen sucht in seiner Not.
Sie wollte die Kleider abwerfen, um sich nach langer Zeit wieder im strömenden Wasser zu baden, den Schmutz der Einsamkeit abwerfen, als es hinter ihr knackte. Sie wich zurück und nahm einen der Revolver in die Hand. Wenn es ein Reh ist, oh, wenn es doch ein Reh ist! Sie drückte sich gegen einen Baumstamm und wartete.
Aus den Büschen trat eine Gestalt.
Ein Mensch! Ein Mann! Er sah abgerissen aus in der fahlen Abenddämmerung – aber er wußte den Weg zurück … er konnte helfen. Sie würden Ralf tragen, sie würden ihn retten können.
Mabel wollte vortreten aus dem Schatten des sie schützenden Baumes, als sich der Mann umdrehte. Die Strahlen der untergehenden Sonne glitten über sein breites, mit schwarzem Bart umwachsenes Gesicht.
Gregoronow.
Ihr Entsetzen war so groß, daß sie zurück an den Baum prallte. Sie wollte schreien, aber der Ton blieb wie gefroren in der Kehle.
Wassilij Gregoronow hatte den Laut hinter sich gehört. Er schnellte herum, tierhaft, leise, von unheimlicher Geschmeidigkeit.
Seine Augen wurden groß. Er starrte in den Lauf eines Revolvers, den eine schmale, blasse Hand hielt. Dahinter war ein wilder blonder Lockenkopf und die Gestalt eines schmalen Mädchens.
»Miß Paerson!« sagte Gregoronow leise.
»Ja! Rühren Sie sich nicht!« Mabels Stimme war belegt. Was soll ich tun, wenn er auf mich zustürzt? Soll ich wirklich schießen … soll ich einen Menschen umbringen? Man wird sagen, es war Notwehr … aber ich könnte es nie vergessen … nie …
Gregoronow wich zurück. Jetzt stand er unmittelbar am Ufer des reißenden Flusses. Seine Augen waren klein, zusammengekniffen.
»Zanewskij hat sich erschossen – Ihretwegen! Weil Sie uns entkommen sind! Ich habe Sie gesucht … ich habe den Wagen gefunden mit dem toten Fahrer. Ich wußte, daß ihr hier in der Nähe seid. Und ich lasse euch nicht wieder laufen! Ich will nicht auch noch von Moskau liquidiert werden! Ich will weiterleben, und wenn es sein muß, indem ich euch umlege.«
Er blickte auf den Revolver Mabel Paersons und dachte an seine Waffe, die er in der hinteren Hosentasche trug.
»Dr. Bouth ist verwundet?« fragte er, um Zeit zu gewinnen.
»Ja. Er liegt im Sterben.«
»Um so besser.« Gregoronow sah sie lauernd an. In die Tasche greifen und so tun, als wolle man ein Taschentuch herausholen, durchfuhr es ihn. Dann den Revolver heraus. Sie wird nicht schießen. Eine Frau kann das nicht.
Er schneuzte sich und griff in die Tasche. Mabel verfolgte seine Hände und sah, daß seine Finger nicht in die Tasche, sondern nach hinten griffen.
Er nimmt seinen Revolver, durchfuhr es sie. Er wird mich gleich
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