Agenten kennen kein Pardon
überwältigt haben, mich und Ralf. Und wir werden wieder herumgeschleppt, man wird uns weiter erpressen … man wird uns töten.
»Nehmen Sie die Hände hoch!« schrie sie voll Verzweiflung.
Gregoronow duckte sich. Blitzschnell fuhr seine Hand in die Hosentasche. Er riß an dem Griff des Revolvers, aber an einer schadhaften Futterstelle saß der Lauf fest. Er riß, er fluchte – es ging um Sekunden.
Mabel Paerson stand steif und wie erstarrt am Ufer. Sie hatte den Arm mit dem Revolver weit von sich gestreckt. »Tun Sie es nicht!« schrie sie plötzlich. »Ich bitte Sie, tun Sie es nicht!«
Ich bin verloren, durchjagte es sie. Ich kann nicht schießen, ich kann auf keinen Menschen schießen. Ralf, vergib mir … alles, alles habe ich für dich getan … aber das, das kann ich nicht …
Gregoronow hatte den Lauf frei und riß den Revolver aus der Tasche. In diesem Augenblick, in dem Moment des Herausreißens, sah Mabel zu ihrem grenzenlosen Erstaunen, wie ein Strahl aus dem Lauf ihres Revolvers fuhr. Sie hörte einen Knall, sie sah mit weit aufgerissenen Augen, wie Gregoronow seine Waffe fallen ließ, wie er sich an die Brust griff, wie er sich um sich drehte und stumm in den Fluß fiel. Die Strömung erfaßte ihn, drehte ihn in einem rasenden Wirbel und riß ihn dann mit sich weg in die Schnellen hinein, wo er im gurgelnden Schaum verschwand.
Fassungslos stand Mabel am Ufer. Langsam zog sie den Arm zurück und betrachtete ihren Zeigefinger. Er war umgebogen, – krumm lag er am Abzugsbügel des Revolvers.
Sie hatte geschossen … sie hatte einen Menschen erschossen. Ihr Finger … der kleine Zeigefinger hatte ein Leben ausgelöscht.
Entsetzt ließ sie den Revolver fallen. »Nein!« schrie sie auf. »Nein! Ich wollte es nicht! Mein Gott, glaube es mir – ich wollte es nicht! Ich wollte nicht töten … Ich weiß doch gar nicht, daß ich schoß … ich weiß doch von nichts … Nein … nein …«
Sie rannte durch den Wald zurück, als hetzte man sie. Die Zweige schlugen ihr blutige Striemen ins Gesicht … sie kannte keine Rast, keinen Umweg … sie rannte blind durch den Wald, immer das Bild vor Augen … Er fällt … er greift an die Brust … er stürzt in die Strömung …
Ein Mensch …
Atemlos, aufgelöst fiel sie in die Hütte neben Dr. Bouth auf das Stroh. Er schlief mit dem ruhigen Atem eines Genesenden. Schluchzend kroch sie an ihn und verbarg ihr Gesicht, in dem noch immer das Grauen stand, an seiner Brust. Sie deckte die Decken über ihren Kopf, um nichts mehr zu sehen und zu hören. Sie fühlte die Wärme seines Körpers wie tröstend zu ihr gleiten und schloß die Augen.
Erschöpft schlief sie ein, mit dem Gesicht auf Ralfs Brust.
Aber noch im Hinüberdämmern rauschte es durch ihren Körper.
Frei … endlich frei …
Kann Gott verzeihen …?
Die Sonne schien durch das blinde Fenster, als Mabel Paerson erwachte.
Ralf schlief noch. Aber seine Haut war irgendwie glatter, weniger schweißig, sondern ein bißchen getönt. Das Rasseln des Atems hatte nachgelassen.
Mabel Paerson erhob sich leise und wusch sich draußen in der Tonne, die das Regenwasser sammelte. Dann kochte sie aus zu harten Würfeln gepreßten Blättern in dem Topf aus dem Kastendeckel mit Regenwasser einen Tee und schlürfte ihn.
Wie einsam es hier doch ist, dachte sie, indem sie aus dem Fenster blickte.
Sie schrak zusammen, aus ihren Gedanken gerissen. Eine Stimme sagte leise:
»Wasser …«
Dr. Bouth hatte sich ein wenig aufgerichtet und schaute sich um. Mabel stürzte zu ihm hin und umfaßte ihn.
»Ralf«, jauchzte sie. »Ralf … du bist wieder da … Ich habe dich wieder … Oh, Ralf …« Sie küßte ihn und legte ihn zurück in das Stroh. Dann tauchte sie ein Stück Mullbinde in das Wasser und legte es ihm zwischen die Zähne. Gierig saugte Dr. Bouth das Wasser aus dem Stoff. Dabei irrte sein Blick umher, durch die Hütte, über Mabel, an das offene Fenster.
»Wo sind wir?« fragte er schwach.
»Am Emmons Peak, Ralf. Du hast lange geschlafen … und ich habe gewartet, bis du wieder aufwachtest.« Sie wusch ihm das Gesicht, das blasse, von Bartstoppeln dicht übersäte, ausgemergelte Gesicht mit den brennenden Augen darin.
»Du mußt ruhig liegen«, sagte sie und bettete ihn vorsichtig um. »Du darfst dich nicht so viel bewegen. Und nicht sprechen, Ralf … hörst du?«
Er nickte und lächelte schwach. Er sah ihren flinken Händen zu, die ihn verbanden und ihm ein Stück Fleisch gaben.
»Wie gut du
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