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Agenten - Roman

Agenten - Roman

Titel: Agenten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Innenstadt, die mit ihren Ablegern nichts mehr verband. Diese früher dörflichen Bezirke vor den Toren verwaisten und wurden zu Endhaltestellen von Bussen, die regen Verkehr imitierten. Es war eine Zeit hektisch betriebener Verwandlungen,
das Alte durfte erstrahlen, und das Neue wurde aus seinem Fonds bezogen. In allem aber bewies sich ein Sinn für Kulissen, Verkleidungen, für das Interieur; die Waren wurden reich dekoriert, und die Passanten fügten sich ein in die gestellten Bilder von kühler Erstarrung. Das Abrupte schied aus, man kultivierte die Übergänge, die gedehnte Bewegung überspielte die Brüche. Die Schau galt dem Material und seiner Kombination, ein Sich-Vertiefen in Stoffe, Farben und ihre Noten, bei denen Halbwerte vorherrschten. Nichts Durchdringendes, nur Atmosphären von Abwesenheit; keine Annäherungen, nur langes Verweilen. Am frühen Abend saß ich gern noch für eine Stunde in meinem Büro, auf den leeren Gängen unterhielten sich die Putzfrauen; die Menschenströme draußen vor meinem Fenster waren untergetaucht, und die Kehrmaschinen dröhnten durch die Fußgängerzone. Ein erstes Flackern drang schon herauf, Waben von Leuchtreklamen, die immer von neuem ansprangen; ich öffnete das Fenster, ein Warten auf das ersterbende Gemurmel. Die Stadt erschien mir jetzt wie ein Gewächs, aufbrechend, narkotisierend. Ich stand ganz still und lauschte; der flüchtende, dünner werdende Verkehr, die ersten, das Terrain erkundenden Gruppen, diese Balancen prägten sich ein. Ich zündete mir eine Zigarette an und dachte mich in meine Rolle zurück; hier stand ich, die Atmosphären einsaugend, ein Späher…
     
    Calderón ließ mich kalt. Zum Dank für meinen Artikel hatte mir Linda Francis zwei Premierenkarten geschickt; ich war mit Doris hingegangen, es war unser erster gemeinsamer Auftritt, und wir bemerkten die prüfenden Blicke unserer gemeinsamen Bekannten, die auf Lindas Schauspielkunst
neugierig geworden waren. Sie hatte sich durchgesetzt, das erkannte ich gleich; aus der Rolle der Rosaura hatte sie eine Hauptrolle gemacht, und sie verlieh ihr etwas Stolzes und zugleich Ruheloses, indem sie die Verwandlungsspiele, die sie bald als Mann, bald als liebende Frau vorstellten, auskostete. Ihr Spiel war glanzvoll, ein berechnender Umgang mit den Extremen, gipfelnd in einem langen Monolog des letzten Aktes, den sie mit großer Verzögerung, fast gebärdenlos, sprach. Man folgte ihrem Spiel mit innerer Beteiligung, die Augen aller ruhten auf ihr, doch selbst ihre Kunst konnte die schwerfälligen Konstruktionen des Stückes nicht vergessen machen. All diese Geschäfte und Verwicklungen wirkten aufdringlich unzeitgemäß, man sollte an ihrer Klärung Gefallen finden und empfand sie doch nur als lästige, aufhaltende Momente, die den Fluß der Darstellung behinderten.
    Nach der Premiere machten wir uns auf den Weg ins Rheingold , wo sich die Schauspieler gewohnheitsgemäß trafen.
    »Hast du bemerkt, wie sie den anderen die Schau stiehlt?« fragte mich Doris.
    »Sie ist sehr selbstbewußt.«
    »Unmöglich führt sie sich auf! Sie reißt alles an sich, in jeder Szene, in der sie auftritt, sind die Übrigen nur Statisten. Und sie sucht den Kontakt zum Publikum, ganz direkt. Während ihres Monologs hatte sie sogar noch ein Auge für die ersten Reihen.«
    »Ist mir nicht aufgefallen.«
    »Stell dich nicht dumm! Du hast sie die ganze Zeit über angestarrt, es war nicht zum Aushalten.«
    »Unsinn! Ich habe sie nur genau beobachtet.«
    »Aufgefressen hast du sie mit deinen Blicken! Ein Wunder, daß du nicht auf die Bühne gehüpft bist.«

    »Doris, bitte! Es gibt keinen Grund für Eifersucht.«
    »Gibt es doch. Erinnere dich daran, was wir verabredet haben. Nichts nebenher! Wenn du dich ranmachst an sie, wirst du mich kennenlernen…«
    »Ich?! Mich ranmachen? Wie kommst du darauf?«
    »Sie braucht Leute wie dich, sie weiß, wie man die Presse einwickelt.«
    »Für so einen hältst du mich? Für einen, der seine Stelle ausnutzt? Das wäre ein mieser Anfang in diesem Geschäft.«
    »Du wärst nicht der Erste. Sie kennt alle Tricks, im Leben noch mehr als auf der Bühne. Sie ist die geborene Verführerin.«
    »Das denkst du dir so. Sie hat eben Ausstrahlung, was spricht denn dagegen?«
    »Meynard, sei nicht naiv! Hast du noch die Szene im Kopf, wo der arme Irre sie beinahe vergewaltigt hätte?«
    »Du meinst Sigismund, den Sohn des Königs?«
    »Frag nicht so scheinheilig! Er hat sich auf sie gestürzt, sie hat

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