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Agenten - Roman

Agenten - Roman

Titel: Agenten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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knapp über dreißig, ein Lehrbeauftragter mit minimaler Vergütung, stehe kurz vor der Promotion und habe in seiner vor dem Abschluß stehenden Arbeit Neues über antike Glückslehren entdeckt.
    Antike Glückslehren waren mir viel zu fragil, ich wagte nicht einmal, genauer danach zu fragen, doch Sarah erklärte mir, ganz gegen ihre Gewohnheit, das Glück sei in der Antike der Zustand der Unabhängigkeit, also weder spirituell noch materiell ausreichend begründet. Ich ließ auch diese Auskunft so für sich stehen, schließlich hatte ich einen ganz anderen Sinn für Unerledigtes. Sarah jedoch geriet bei diesen Sätzen in leichte Unruhe, ich bemerkte ein sich überlegen gebendes, kokettes Zucken um ihren Mund, als hielte sie vor mir etwas, das mich der Lösung näherbrächte, absichtlich zurück.
Es war ein leichter Anflug von Hochmut, ich kannte diese intellektuellen Schikanen, doch ich erwiderte nichts, denn Streit brauchte ganz andre Motive.
     
    Wenig später stieß ich auf Dreisen. Sarahs Zirkel hatte sich schon mehrere Male in der Wohnung getroffen, ich hatte davon kaum etwas bemerkt, nur die Luft war am Morgen danach sehr stickig, denn Dreisen rauchte anscheinend ununterbrochen. Schon diese Nachricht hatte mich gegen ihn eingenommen, in fremder Umgebung war Rücksicht angebracht, zumal Sarah dort schlafen mußte. Als ich an einem Abend in mein Zimmer zurückkehrte, um mir in Ruhe noch ein paar Notizen zu machen, hörte ich seine Stimme. Dreisen skandierte, er wechselte abrupt zwischen laut und leise, preßte die griechischen Krachlaute mit nasaler Verstärkung heraus und summte die deutschen Entsprechungen mit hohen Kopftönen. Er leitete das Treffen anscheinend ganz nach Belieben, sein Vortrag war herrisch, eine zügellose Litanei, die den anderen nur Statistenrollen erlaubte.
    Ich hatte an diesem Abend nicht mit Störungen gerechnet, um so mehr plagten mich diese Attacken. Klassisches Griechisch war nicht zu verachten, wenn man es auf ruhige Weise betrieb; Dreisens Art war jedoch orientalisch, wie Muezzin- Schreie vom Minarett. Ich war auf dem Weg hinüber, als ich Sarah auf dem Flur begegnete.
    »Du bist hier?«
    »Wie du siehst«, sagte ich, »was ist das für ein Gebrüll?«
    »Davon verstehst du nichts.«
    »Schon gut, bitte deinen Gelehrten, sich ein wenig zu mäßigen.«
    »Du hörst auch laut Musik, wenn es dir paßt.«

    »Gegen Musik hätte ich nichts, das hier aber klingt kastriert. Außerdem habe ich zu arbeiten.«
    »Nennst du das Arbeit, wenn du was schreibst?«
    »Sarah, hör zu, wir leben auf zwei Kontinenten, und da gibt es nun mal keine Brücke. Halt du deinen Wüstenrufer im Zaum, ich schraub in Zukunft meine oldies zurück…«
    Sie schob mich zur Seite und ging in die Küche. Sie leerte den Aschenbecher und öffnete eine weitere Flasche Wein. Salzstangen und Käsehäppchen standen bereit.
    »He«, sagte ich, »wenn du ihn so fütterst, wundre ich mich nicht über dieses Gebalze.«
    »Oh, was bist du gemein, das hab ich dir nicht zugetraut.«
    »Sarah, ich traue dir alles zu, die absolute Leistung, die totale Wissensvermehrung. Das hier aber ist meine Wohnung, und da gelten die Gesetze der ewig Beschränkten.«
    Die Tür von Sarahs Zimmer öffnete sich, im herausquellenden Wirbel der Rauchschwaden tauchte eine Gestalt auf. Dreisen war klein und merkwürdig disproportioniert; er hatte einen großen Kopf, die stark fettigen Haare waren leicht gelockt und verliehen dem Schädel durch ihre Fülle etwas Wuchtiges. Der gestauchte Oberkörper wurde von einem Spitzbauch belastet, der die untere Hälfte des Menschen zu einer bloßen Halterung degradierte. Er trug einen braunen, ungepflegten Pullunder und eine schwarze, speckig glänzende Hose. Unwillkürlich machte ich einen kleinen Schritt zurück, ich hatte mehr Feinheit erwartet, doch Feinheit war anscheinend für den klassischen Ausdruck entbehrlich. Dreisen stutzte, erkundigte sich dann aber rasch, ohne mich zu begrüßen, nach der Toilette. Er hatte etwas Verdruckstes, sein Gesichtsfeld war deutlich begrenzt, er war eine durch und durch ungesunde Erscheinung.

    Sarah stellte mich vor.
    »Ah, der Bruder, man sieht die Ähnlichkeit gleich!«
    »Da sind Sie der Erste, der sowas behauptet«, sagte ich, »vielleicht ist Ihr Blick leicht getrübt.«
    »Physiognomien interessieren mich brennend«, antwortete Dreisen, »Büsten, Porträts sind eine Fundgrube für die Archäologie.«
    »Macht es Ihnen etwas aus, beim Unterricht leiser zu sprechen?«

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