Agenten - Roman
anderen Leiden. Auch meine Freundinnen blickten nicht dauernd auf mich; die meisten lebten in ihren Zirkeln, und Tage zu zweit zu verbringen, bedeutete nichts. Wichtig war nur, daß man sich mochte, für so etwas hatte man feine Antennen, auch Sex ließ man zu, wenn es sich zufällig und auf gute Weise ergab. Meist kam es dazu, wenn man nachts hängenblieb in einem der kleineren Orte, manchmal sträubte sich auch eine Freundin dagegen, und ich fuhr sie heim, ohne wenn und aber und ohne anklagendes Murren. Alles verlief in einer guten Balance, lange Absprachen waren nicht nötig, man folgte seinen wachen Instinkten, und die betrogen nur selten.
Tagsüber hatten wir alle zu tun, am frühen Abend jedoch standen die Verabredungen fest, lose geplant durch einen Anruf, nicht drängend, sondern meist nur ein Vorschlag. Marion bediente im Rheingold , ich kannte sie schon eine Weile, sie wurde oft eingeladen von ihren Kunden, und sie ging darauf ein, wenn die Typen ihr paßten. An ihren freien Tagen wollte sie fast immer nach Frankfurt, schon Autobahnfahren machte sie high , sie stoppte die Zeit, die wir brauchten. Manchmal blieben wir nur für einen Cocktail, am Wochenende tanzte sie gern im Dorian Gray , die Flughafenwelt machte sie munter, und wir kamen mit Leuten zusammen, die sich gern kostümierten. Tanzen betrieb sie bis zur Erschöpfung, das war für sie der klassische Weg der Ermüdung, langes Gehen machte sie widerwillig, verstockt, ich respektierte das, denn langes Gehen mußte nicht sein.
Corinna arbeitete im Belegversand der Zeitung, ich hatte
sie in der Kantine kennengelernt. Sie gehörte zu Hegelers Kreis und ging ins Freibad, wann immer das Wetter es erlaubte. Auch sie machte sich nichts aus langen Spaziergängen, schon längere Autofahrten gefielen ihr nicht, am liebsten waren ihr Weinlokale im Rheingau, zwei, drei an einem Abend, wild durcheinander. Sie trank viel, die großen Schoppen wanderten über die gescheuerten Tische, und ihre Redelust riß mich mit, so daß wir ins Fabulieren gerieten. Sie erzählte meist von der Belegschaft, unglaubliche, überdrehte Geschichten, und man bekam den Eindruck, das Pressehaus sei nur ein Tollhaus, eine Arbeitsabsteige für viele, die im Privatleben Triebtäter waren. Ich wußte, daß sie oft überzog; sie genoß es, ein wenig zu flunkern, aber auf die Dauer sah ich viele Kollegen in anderem Licht; es war nicht schlecht, für alles gewappnet zu sein. Franz Schmahl zum Beispiel war ihr besonderer Liebling; sie reizte ihn, brachte seine Begierden auf Touren und spielte das übermütige Gör , das aus gealterten Männern raffinierte Zuhälter machte. Erst durch Corinnas Geschichten begriff ich, wie sehr ich mich vor Schmahl in acht nehmen mußte, er war eine unberechenbare Gestalt, nahe am Alkoholismus. Doch er war nicht der Einzige, der verdächtig häufig die Kantine aufsuchte; selbst Piehl sollte in aller Heimlichkeit trinken, seine Sekretärin regelte das, mit Sechserpackungen Piccolo aus dem Aldi , alle zwei Tage. In tiefer Nacht geriet Corinna ans Küssen, solche Zuwendung brauchte sie nach ein paar Gläsern, doch am nächsten Morgen hatte sie angeblich alles vergessen, bis auf mein manchmal genervtes Gesicht. Sie betrachtete sich als eine Spezialistin für feines Essen , doch ich war eher skeptisch, denn sie hielt Ananasscheiben, mit kandierten Kirschen bekrönt, noch für ein Zeichen von Luxus. Ihr zweifelhafter Geschmack führte
sie oft in die Irre, daher lud ich sie lieber zu Hausmannskost ein, wie man sie im Rheingau bekam. Sie machte sich stets mit Heißhunger darüber her, denn während der Woche aß sie sehr wenig, weil sie schlank bleiben wollte. Mit solchen höchstens neckisch wirkenden Vorhaben war sie sehr ernsthaft beschäftigt; ich erinnerte sie manchmal daran, doch die Tage mit mir waren Ausnahmen, schöne Tage, wie Ferien, ganz ins Blaue gesetzt.
Das größte Vergnügen machte ich ihr, wenn ich sie Donnerstag Mittag mit hinüber nach Mainz nahm. Donnerstags erschien die scene -Seite, fürs Erste war die Arbeit einer Woche getan, oft nahm ich mir mittags dann frei oder suchte einen Auslauf unter fadenscheinigen Gründen. Corinna hatte es in diesen Stunden angeblich mit Übelkeiten zu tun, sie rief mich an und bettelte darum, mitgenommen zu werden. Der Donnerstagmittag war ein Ritual, denn nur einmal die Woche öffnete in einem Vorort von Mainz eine Schweinemetzgerei ihre Wirtschaft, um die frisch geschlachtete Ware dampfend, in großen
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