Agentur der boesen Maedchen
nicht heraus. Ich war enttäuscht, und ich glaube, man sah es mir auch an. Hatte der Kerl mal keine Frau im Rücken, so war es doch eine erwachsene Tochter. Na ja, man kann nicht alles haben. Jetzt war ich zwar verliebt und hatte etwas, was man nach außen als Beziehung bezeichnen konnte, aber ich fühlte mich trotzdem allein. Immer, wenn Ralf ging, war das Haus leer und stiller, als es mir lieb war. Ich kramte ein bisschen herum und überlegte, was ich machen könnte mit diesem Samstag. Der Sonntag würde leichter werden, ich hatte Annette und Eva eingeladen. Wir wollten ausführlich darüber reden, was die Agentur in der kurzen Zeit ihres Bestehens geleistet hatte und wie es weitergehen sollte. Außerdem wollte Annette die neuen Termine vergeben.
Die Agentur war im Moment die größte Freude in meinem Leben – abgesehen von Ralf, aber selbst den hatte ich ja der Agentur zu verdanken. Die Rollenspiele machten mir Spaß, ich wünschte mir fast, Annette hätte öfter Verwendung für mich. Ich war auch bereit, die böse Schwiegermutter zu übernehmen oder die Erbtante zu spielen, bislang war es einfach lustig gewesen, und zwar jedes Mal, wenn es irgendetwas mit der Agentur oder mit Annette zu tun hatte.
Annette entwickelte sich immer mehr zu einem zentralen Wesen in meinem Leben. Sie war die Tochter, die ich manchmal vermisst hatte. Aber vielleicht war es besser, wir waren nur Tante und Nichte. Das nahm doch einiges von den Belastungen, wie ich sie in Mütter-Töchter-Beziehungen immer so wunderbar beobachten konnte.
Das Klingeln schreckte mich aus dem Nachmittagsschlaf. Ich dachte zuerst, es wäre Ralf, er hätte etwas vergessen. Der Kerl an der Tür trug Jeans und Parka, die Kapuze hatte er tief ins Gesicht gezogen, es war ziemlich kalt geworden. Den Rucksack hatte er am Boden abgestellt, hob ihn aber sofort hoch, als ich öffnete. Ich erkannte ihn endlich an seinem Schweigen. Es war Annettes Cousin.
»Tag, kann ich rein?«
Ich bin wirklich nicht auf den Mund gefallen, aber ich hatte keine passende Antwort parat. Dabei wäre es ganz leicht gewesen, einfach nein zu sagen. Doch ich benahm mich so dämlich, wie ich mir Annette in dieser Situation immer vorgestellt hatte. Ich trat leicht zur Seite, und er nutzte diese Gelegenheit, ins Haus zu kommen. Er zog Parka und Stiefel aus und sah noch mitleiderregender aus als zuvor. Das schmächtige Kerlchen, das da im Flur hilflos vor sich hinblickte, war schlecht wieder vor die Tür zu setzen. Ich hätte mich gefühlt wie das letzte Schwein, großes Haus und dazu engstirnig, wie man sich eben die reichen Leute so vorstellt.
»Komm doch rein«, sagte ich mäßig freundlich und merkte erst dann, dass er das schon getan hatte.
»Kann ich ein paar Tage bleiben?«
»Wie lange?«
»Weiß nicht, mal sehen.«
Diese differenzierte Auskunft schien zum Standardrepertoire zu gehören. Annette hatte schon darüber geklagt, dass seine Auskünfte immer so ungenau waren.
»Also morgen bekomme ich eine Menge Besuch, da hätte ich gerne ein freies Haus, und übermorgen kommt mein Freund wieder, da ist auch kein Platz.«
Meine Notlügen wirkten nicht.
»Ich störe nicht.«
Das dachte er immer. Er konnte sich gar nicht vorstellen, wie sehr ein unscheinbarer Mensch, der von der Küche ins Bad und von dort ins Bett schleicht, stören kann. Aber wie erklärt man das einem Menschen, der sich selbst für anspruchslos und unauffällig hält und es in den Augen einer großen Öffentlichkeit wahrscheinlich auch ist. Ich wollte auf keinen Fall schuld daran sein, wenn er sich bei dieser Kälte unter einer Brücke verkroch und elendiglich erfror, ich hartherzige angeheiratete Tante, ich.
»Du kannst hier übernachten. Aber höchstens eine Woche. Und tagsüber bist du bitte weg. Ich möchte meine Ruhe haben.«
Karl-Heinz nahm von meinen strikten Anweisungen keine Notiz. Er nahm seinen Rucksack, steuerte das Zimmer an, das er schon das letzte Mal bewohnt hatte und verschwand darin. Ich hatte Annettes Kummer mit diesem Lebenskünstler nie besonders ernst genommen und immer gedacht, klare Worte würde er schon verstehen. Leider musste ich feststellen, dass ich falsch lag. Selbst Ricarda, die Schreckliche, brachte dieses Bündel menschlichen Elends nicht aus dem Haus. Da ich den Kerl an diesem Tag nicht mehr zu Gesicht bekam, musste ich meine Abschiebebemühungen auf den Sonntag vertagen. Vielleicht könnte mir ja Annette einen Tipp geben.
Denn dass er einem das Leben richtig versauen konnte,
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