Agentur der boesen Maedchen
ganze Nacht Sodbrennen hatte.
Mit sechzehn begannen dann nach den Weihnachtsfeiertagen die hektischen Bemühungen, irgendetwas in diesem Kaff auf die Beine zu stellen, um nicht zu Hause sein zu müssen. Einmal war eine Party bei Hannes, einmal besuchten wir sogar einen Ball. Später ging ich an Silvester mit Hannes in der Stadt aus, ließ das Kind bei meinen Eltern. Aber es war immer dieses Warten auf einen bestimmten Zeitpunkt, zu dem man ganz besonders lustig sein sollte. Und dieses Warten förderte meine schlechte Laune. Silvester fing ich gerne Streit an, am besten kurz vor Mitternacht – es ist mir nie gelungen, eines dieser Feste ohne Probleme über die Bühne zu kriegen.
Und als ich alleinerziehend geworden war, gab es auch immer eine Möglichkeit, in dieser Nacht nicht allein sein zu müssen. Einige Male hatte ich mit Lucie gefeiert, und irgendwann fiel mir auf, dass jetzt dieser Tag genauso aussah wie zu Hause. Wir brachten die Kinder ins Bett und aßen oder umgekehrt, dann redeten wir ein bisschen, wir langweilten uns und schalteten den Fernseher ein.
Dann feierte ich mit Clara allein, aber auch diese Situation wurde der bei meinen Eltern immer ähnlicher, und ich sah, dass ich der Depression dieses Abends nicht besser ausweichen konnte als sie. Als ich das erkannt hatte, verzieh ich ihnen diese vielen unendlich öden Silvesterabende.
Daraufhin probierte ich das aus, wovon mir immer alle abgeraten hatten, ich blieb einfach zu Hause, köpfte eine Flasche Wein und las oder schrieb oder arbeitete. Oft zog ich auch Bilanz, wie das Jahr verlaufen war. Äußerlich gab es zwar kaum Veränderungen im Laufe der Zeit, außer, dass Clara immer größer und selbständiger wurde, schließlich wollte sie schon mit zwölf Jahren nicht mehr mit mir feiern, sondern quartierte sich immer bei einer Freundin ein und blieb dort über Nacht. Heute war sie zu Jens gegangen, ich hoffte, sie würden sich gut amüsieren, aber ich war mir nicht sicher. Ich glaube keinem mehr, der mir erzählte, Silvester sei sehr lustig gewesen.
Ich hatte mir an diesem Abend etwas gekocht, dann setzte ich mich mit meinem Manuskript und einem Glas Wein an den Schreibtisch. Es ist unglaublich, wie schnell die Zeit vergeht, wenn man sich beschäftigen kann. Ich fand meine Geschichte immer noch gut, bastelte an einzelnen Formulierungen herum und beschloss dann, sie im neuen Jahr irgendeinem Verlag anzubieten, wenn auch nicht dem, bei dem ich noch beschäftigt war. Damit war ich auch schon dabei, Bilanz zu ziehen, das alte Jahr Revue passieren zu lassen, und mich auf das neue einzustimmen. Mir war klar, dass ich mir einen neuen Job suchen müsste, das würde wohl die entscheidendste Veränderung werden. Vielleicht würde auch Clara ausziehen. Ein bisschen mulmig war mir schon. Zwar hatte ich mit Hilfe der Agentur in den letzten Monaten meine Finanzen bedeutend aufbessern können, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dort häufiger zu arbeiten. Ich wollte auf keinen Fall so wie Annette mehrmals in der Woche die Abende mit irgendwelchen Idioten und ihren Problemen verbringen. Veränderungen mochte ich nie. Es machte mir angst, wenn etwas nicht überschaubar war, wenn ich keine Sicherheit spürte. Ich war gerade am trübsten Punkt meiner Gedanken angekommen, als es klingelte. Wahrscheinlich hatte Clara ihren Schlüssel vergessen und kam deshalb noch einmal zurück. Also machte ich ohne Bedenken auf.
Vor der Tür stand Hannes, Blumen in der einen, eine Flasche Schampus in der anderen Hand. So ähnlich hatte er vor ein paar Monaten schon einmal da gestanden, ich konnte mich an mein Entsetzen noch gut erinnern. Auch wenn sich der Schrecken dieses Mal in Grenzen hielt, mir war doch etwas mulmig, denn er erwischte mich in melancholischer Stimmung. Ich wollte mich nicht gehenlassen vor einem Menschen, der mir fremd geworden war. Aber Hannes hatte an diesem Abend einen guten Start. Er sah selbst so unsicher aus, ob er gerade das Richtige tat, er stand da wie ein einziges großes Fragezeichen, das sagte: Darf ich herein? Nerve ich dich? Störe ich? Und er sagte gar nichts.
»Hallo Hannes.«
Hannes lächelte zaghaft. Er reichte mir die Blumen.
»Ich kann auch wieder gehen, Eva. Ich habe von unten gesehen, dass Licht ist, und da dachte ich …«
»Du dachtest richtig. Komm rein.«
Ich musste zugeben, dass ich mich über seinen Besuch freute. Ich hätte zwar den Abend auch gut so über die Runden gebracht, aber ich hatte ihn doch schon einige Zeit nicht
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