Aggression: Warum sie für uns und unsere Kinder notwendig ist (German Edition)
sich als wertvoll empfinden, wenn sie dauernd gelobt werden und ihnen die elterliche Liebe ständig durch Worte kundgetan wird. Das ist jedoch mitnichten der Fall, vielmehr: Zu der Verwirrung der Kinder kommt möglicherweise noch Aggression dazu.
Die meisten Eltern gehen durch einige harte Jahre, wenn ihre Kinder zwei bis fünf oder sechs Jahre alt sind, bis die Eltern einen besseren Umgangsmodus gefunden haben. Je nachdem, ob die Eltern zum alten Erziehungsstil übergehen oder eine reale und gute Alternative finden – die Qualität des Selbstwertgefühls, das sich bei solchen Kindern verspätet einstellt, wird genau davon abhängen.
Auf der Suche nach einer heilsamen Alternative prüfen viele Eltern ihr Gewissen, um besser zwischen dem zu unterscheiden, was sie für ihr Kind, und dem, was sie für sich selbst und ihr eigenes Selbstbild tun. Die Entwürfe dieser beiden Projekte sind gewöhnlich sehr unterschiedlich; nur eines von beiden zu berücksichtigen führt zu Niederlage und Frustration.
Eine andere große Gruppe von Eltern sind die Perfekt-sein-Wollenden – die Eltern, die immer alles perfekt machen wollen und glückliche, erfolgreiche, perfekte Kinder großziehen. Nicht mehr und nicht weniger! Ist das aber nicht genau das, was alle Eltern wollen? Ja, in einem gewissen Sinne schon, jedoch ist es für Eltern und Kinder sowie deren Beziehungsqualität ein großer Unterschied, ob dieses Ziel eher ein bescheidener Traum oder ein allumfassendes Programm ist. In dem Augenblick, in dem Eltern ihr Bestreben zu einem Projekt machen, degradieren sie ihre Kinder zu Objekten, was unvermeidlich Aggression hervorruft – in den Kindern selbst sowie zwischen Eltern und Kindern. Warum?
Der Hauptgrund ist der, dass die Eltern in ihrem Versuch, dieses unmögliche Ziel zu erreichen, ihre Kinder rund um die Uhr kontrollieren und erziehen. Sie führen und unterrichten sie ständig, belehren und loben sie kontinuierlich – und diese Hyperaktivität seitens der Eltern sendet den Kindern ein klares Signal: Du bist so, wie du jetzt bist, noch nicht gut genug! Diese Kinder werden nie wahrgenommen, wie sie sind, und sie werden nicht für das geschätzt, was sie sind, und das nur deshalb, weil ihre Eltern ihren Fokus auf die Zukunft gerichtet haben. Zukunft bedeutet von jetzt an eine halbe Stunde, eine Woche, drei Monate oder zwanzig Jahre; das Gefühl des Kindes jedoch, als ein individuelles und einmaliges menschliches Wesen wertvoll zu sein, verschwindet. Sein Wert beläuft sich lediglich auf seine Leistung. Im besten Fall gelingt es dem Kind, zu kooperieren und ein starker Leistungsmensch zu werden – es wird viel Selbstvertrauen, aber kein Selbstwertgefühl haben. Einem Großteil dieser Kinder gelingt es, ihre Eltern im engen Familienkreis zufriedenzustellen; für ihre angestauten Frustrationen und Aggressionen finden sie außerhalb der Familie Ventile.
Da unsere Gesellschaft immer stärker leistungsorientiert ist, könnte manch einer argumentieren, es sei nicht verkehrt, aus Kindern Leistungsmenschen zu machen, denn damit tue man ihnen einen Gefallen. Das hängt selbstverständlich davon ab, wie wichtig geistige Gesundheit und soziales Wohlergehen für denjenigen sind, der so argumentiert, und was er unter Glück versteht. Der entscheidende Faktor ist das Selbstwertgefühl – und als Erwachsener lässt es sich sehr schwer auftreiben. Zwischen Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen abzuwägen, scheint mir ein weiser Entschluss zu sein.
Kindertagesstätten
Da immer mehr Vorschulkinder ihre Zeit in Tagesstätten verbringen, ist der Standard dieser Institutionen für das Wohlergehen jedes einzelnen Kindes von großer Bedeutung – wir müssen uns über die Räumlichkeiten, den Zugang zu frischer Luft, das Personal, die emotionale Fürsorge und individuelle Begleitung Gedanken machen. Einige Institutionen sind den Anforderungen gewachsen, andere nicht – sie verfügen über viel zu wenig Platz, haben nicht genügend qualifiziertes Personal, der Lärm ist zu groß, es gibt viel zu viele Regeln und zu wenig Führung.
Doch selbst in zufriedenstellenden Institutionen neigen wir dazu zu vergessen, dass fürsorgliche Begleitung für die Kinder das Wichtigste ist. Die Kinder haben keine andere Wahl: Sie müssen in Tagesstätten gehen; die Kinder, mit denen sie acht oder neun Stunden verbringen, können sie sich nicht aussuchen, und die Erwachsenen, die sie betreuen und tagtäglich in ihre Privatsphäre eindringen, ebenfalls nicht.
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