Agnes Bernauer - Hexe Hure Herzogin
Karlstein, 1426 bei Aussig, 1427 bei Tachov. Jedes Mal hatten die Reichsheere – und in ihren Reihen auch die bayerischen Verbände – Prügel bezogen; nach Tachov dann waren die Hussiten ihrerseits zur Offensive übergegangen, hatten in Österreich, Schlesien und Ungarn geheert und hatten sich dadurch allmählich den Ruf erworben, die leibhaftigen Teufel zu sein.
Damit aber setzt man sie ins Unrecht, dachte Albrecht von Bayern-München nun, in seinen gehetzten Tagen im Frühjahr 1428, oft. Nicht sie waren zuerst die Angreifer, sondern die Kirche und das Reich! Das Metzeln, die militärischen Katastrophen wären nicht nötig gewesen, hätte man bloß den Hus nicht verbrannt! Vielleicht hätte man stattdessen auf das hören sollen, was er der Christenheit so leidenschaftlich sagen wollte; dieser begnadete Prediger von der Bethlehemskapelle 17 zu Prag. Und jedes Mal, wenn er in seinem Nachsinnen über den Protokollen, den Akten, den Verlustlisten und den Feldzugsplänen so weit gekommen war, erinnerte der Wittelsbacher sich an seine eigene Jugend in dieser Stadt. Bis 1417, bis fast zu seinem sechzehnten Geburtstag, hatte er dort gelebt. Eine zumeist glückliche Zeit war das gewesen, und seine Tante und Erzieherin Sophie, die Gattin des damaligen römisch-deutschen und böhmischen Königs Wenzel, war selbst nicht unempfänglich für die Lehren des Mannes aus dem ärmlichen Dorf Husinec gewesen.
Oft genug hatte sie den Halbwüchsigen mitgenommen in das so seltsam schmucklose Gotteshaus; leibhaftig hatte Albrecht den Reformator auf der Kanzel erlebt und hatte gespürt, wie die Herzen, die Träume, die Sehnsüchte der Prager ihm zuflogen. Obwohl selbst noch nicht ausgereift und den Abgründen oder auch dem Faszinierenden des Glaubens eher noch distanziert gegenüberstehend, hatte der Zögling der Königsgemahlin dennoch manchmal erfühlt, dass es mit dem nach außen hin so bescheiden wirkenden Gelehrten und Priester etwas Besonderes auf sich hatte. Von der Gerechtigkeit, der Barmherzigkeit, dazu immer wieder von der Liebe hatte Hus gesprochen; niemals, soweit Albrecht sich erinnern konnte, hatte er gedroht, verdammt, verteufelt; nicht einmal während all der Predigten hatte er den Begriff der Sünde gebraucht. Ein ganz erstaunlicher und fast unbegreiflich wohltuender Kontrast war das gewesen gegenüber den Dogmen, welche die römisch-katholischen Pfaffen im Palast, auf dem Hradschin, aus sich zu heulen und zu belfern pflegten. Hier, so hatte der kindliche Wittelsbacher es mehr als einmal empfunden, schienen geistliche Henker am Werk zu sein, dort aber ein Heiliger; kein Untertanenknechter, sondern ein Menschenfreund war Hus gewesen. „Es steckt etwas vom Erlöser in ihm“, hatte Tante Sophie einmal ihrem Schützling zugeflüstert, „aber ich fürchte, die in Rom und im Reich werden’s nicht begreifen; sie stehen dem Juden, dem Jesus, so ungleich ferner als er.“ Sie aber hatte ihn wohl verstanden, und mit den Jahren hatte auch Albrecht etwas von ihm angenommen, auch wenn er es mit Worten nicht hätte fassen können: dieses Schauern innerlicher und damit auch körperlicher Freiheit …
Umso brutaler jedoch hatte er dann den Schlag empfunden, der 1415 gefallen war. Jan Hus sei in Konstanz eingekerkert worden, so hatte es zunächst geheißen; das Konzil habe seinen königlichen Geleitbrief nicht geachtet. Dass er mundtot gemacht werden solle, das hatten die Prager zunächst noch gedacht; dass der katholische Klerus sich scheue, mit ihm über seine Thesen zu disputieren. Dann aber, nur wenige Monate später, die Boten, die auf den abgehetzten, schaumbespritzten Rössern in der Goldenen Stadt eingetroffen waren, und der Aufschrei in der Bethlehemskapelle und anderswo: Hus ist tot!
Jetzt, während er sich den Kopf darüber zerbrach, wie die hussitische Frage zu lösen, die Heimsuchung möglicherweise doch noch friedlich zu beenden sei, vermeinte Albrecht von Bayern-München dieses verstörte Brüllen wiederum zu hören; einen Schnitt schien es zu kerben zwischen seine unbeschwerte Jugend und dann sein allmähliches Erwachsenwerden, auch wenn Albrecht nach dem Mord noch eineinhalb weitere Jahre in Prag verbracht hatte. Doch Tante Sophie war verändert gewesen, seit die verstörten Reiter 1415 auf den Hradschin galoppiert waren, und auf der Burg waren die Töne von da an schriller und schärfer geworden; hatte es nachts, zwischen Albtraum und Aufschrecken, manchmal wie Waffenklirren geklungen. Eine Kluft, so hatte der
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