Agnes: Roman (German Edition)
Blatt Papier aus der Tasche.
»Komm«, sagte ich, aber Agnes setzte sich auf einen Stuhl beim Fenster.
»Erst will ich wissen, was ich zu tun habe«, sagte sie, »ich möchte keine Fehler machen.«
Von meinem Platz aus konnte ich ihr Gesicht nicht sehen. Ihre Stimme klang seltsam kühl.
»Fang an«, sagte sie, »lies!«
»Wir saßen nebeneinander auf dem Sofa« , las ich und wartete einen Moment. Aber Agnes rührte sich nicht, und ich fuhr fort: »Agnes lehnte sich mit dem Rücken an mich. Ich küßte ihren Nacken. Ich hatte lange über diesen Augenblick nachgedacht, aber als ich sprechen wollte, hatte ich alles vergessen. Also sagte ich nur: ›Willst du zu mir ziehen?‹« Ich hielt inne, wartete und schaute Agnes an. Sie sagte nichts.
»Und?« fragte ich.
»Was sagt sie?« fragte sie.
Ich las weiter: »Agnes setzte sich auf und schaute mir ins Gesicht. ›Meinst du das wirklich?‹ fragte sie. ›Natürlich‹, sagte ich. Ich wollte dich schon lange fragen. Aber ich habe gedacht … du bist so selbständig …«
Agnes stand auf und kam zum Sofa. Sie setzte sich neben mich und sagte: »Meinst du, daß das gutgeht?«
»Ja«, sagte ich, »als wir am See waren … wir waren uns so nahe, und seitdem fühle ich mich oft allein in dieser Wohnung. Könntest du hier wohnen? Ich meine … wir hätten mehr Platz als bei dir.«
»Ja«, sagte sie. »Ja. Ist es gut so? Bist du zufrieden?« Sie lachte wieder und sagte: »Zeig, wie es weitergeht.« Sie nahm mir das Blatt aus der Hand, las und sagte entrüstet: » Dankbar? Warum soll ich dir dankbar sein?«
Sie boxte mich in die Rippen.
»Es war nur ein Spaß«, sagte ich, »ich habe es wieder gelöscht.«
»Da, das gefällt mir schon besser«, sagte sie. »Wir tranken Champagner. Dann liebten wir uns, und um Mitternacht gingen wir hinauf aufs Dach und schauten uns die Sterne an.«
Es regnete in jener Nacht, und wir sahen die Sterne nicht. In ihrem kurzen Kleid holte sich Agnes auf dem Dach eine Erkältung. Ende September aber zog sie bei mir ein. Der Vertrag für ihre Wohnung lief noch bis zum nächsten Frühjahr, und so ließ sie den größten Teil ihrer Sachen dort und brachte nur zwei Koffer mit Kleidern, ihr Cello und einige persönliche Dinge mit.
14
Jeden Morgen fuhr Agnes nun mit der Hochbahn zur Universität. Ich stand erst auf, wenn sie gegangen war, ging in mein Stammcafé, um die Zeitung zu lesen, und war kurz vor Mittag zurück in der Wohnung. Agnes aß in der Universität. Ich schrieb am Nachmittag oder ging in die Bibliothek, um Nachforschungen anzustellen.
Unser Leben war ruhig, unsere Tage glichen einander, und wir waren zufrieden. Wir hatten uns schnell aneinander gewöhnt. Ich machte den größten Teil der Hausarbeit, kochte für Agnes und wusch ihre Sachen. Das Schreiben trat für einige Zeit in den Hintergrund. Ohne große Lust suchte ich noch immer Material für mein Eisenbahnbuch zusammen. Als mich mein Verleger wieder anrief, bat ich ihn, den Ablieferungstermin für das Manuskript hinauszuschieben. Erst beklagte er sich und sagte, das bringe sein ganzes Herbstprogramm durcheinander. Aber ich sagte, ich hätte seit Jahren keine richtigen Ferien gemacht und ich brauchte etwas Erholung, damit das Buch auch wirklich gut werde. Schließlich willigte er ein und meinte sogar, eigentlich sei es ihm ganz recht, Eisenbahnbücher verkauften sich im Frühling ohnehin besser als im Herbst.
Auch an Agnes’ Geschichte schrieb ich kaum mehr weiter. Manchmal spielten wir noch das Spiel jenes Abends. Dann schrieb ich am Computer ein paar Szenen und sagte Agnes, was sie zu tun habe, und spielte selbst meine Rolle. Wir trugen dieselben Kleider wie in der Geschichte, machten wie meine Figuren einen Ausflug in den Zoo oder gingen ins Museum. Aber wir waren beide keine guten Schauspieler, und unser gleichmäßiges Leben eignete sich nicht dazu, beschrieben zu werden.
»Es muß etwas passieren, damit die Geschichte interessanter wird«, sagte ich endlich zu Agnes.
»Bist du nicht glücklich, so wie wir es haben?«
»Doch«, sagte ich, »aber Glück macht keine guten Geschichten. Glück läßt sich nicht beschreiben. Es ist wie Nebel, wie Rauch, durchsichtig und flüchtig. Hast du jemals einen Maler gesehen, der Rauch malen konnte?«
Wir gingen ins Art Institute of Chicago und suchten, ob wir ein Nebel- oder Rauchbild fänden oder ein Bild von glücklichen Menschen. Vor Seurats Un Dimanche d’été à l’Ile de la Grande Jatte blieben wir lange stehen.
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