Agrippina - Kaiserin von Rom
Zeit hat unser Gotteinmal einen Bund mit dem Volk der Juden geschlossen. Sie erkannten ihn als den einzigen Gott an, und er hat ihnen dafür gegen alle Gefahren beigestanden, die jenem Volk drohten. Das ging lange gut. Aber wie das so ist, wenn die Gewohnheit Einzug hält in das Leben der Menschen: Nach und nach fielen viele aus dem Volk von ihrem Gott ab, sie sündigten und beteten zu anderen Göttern. Da beschloss Gott, seinen Sohn zu ihnen zu schicken. Dem Volk der Juden aber sandte er Propheten, damit sie seine Ankunft verkündeten. Als aber dieser Sohn, die Juden nennen ihn den Messias , kam, da erkannten sie ihn nicht, weil sie ihn sich ganz anders vorgestellt hatten.«
»Wie denn?«, unterbrach Dirana, die atemlos zugehört hatte.
»Sie glaubten, er käme mit großem Heer und furchtbaren Waffen, um sie von der Besatzung der Römer zu befreien. Stattdessen war er nur der Sohn eines einfachen Schreiners und predigte Liebe statt Gewalt, Vergebung statt Rache. Da wandten sie sich von ihm ab und forderten von dem römischen Prokurator seine Hinrichtung.«
»Pontius Pilatus?«, fragte Valerius nach.
»Ja, genau der. Es ist jetzt etwa zwanzig Jahre her, dass Pilatus sich dem Druck der Juden beugte und seine Kreuzigung anordnete.«
»Das war das Ende?« Dirana blickte Maternus mit großen Augen an.
»Das war der Anfang! Denn Jesus, so war sein Name, ist von den Toten auferstanden.«
»Er ist ... was? Ich habe das schon einmal gehört, aber verzeih, mir fehlt dazu der Glaube. Ein Mensch, der tot ist, bleibt tot!«
»Aber er war eben nicht nur Mensch, sondern zugleich auch Gottes Sohn, und in dessen Allmacht liegt es, einen Toten aufzuerwecken. Vieles von dem, was er gepredigt hat, haben die Menschen in ihren Herzen geborgen. Einige von denen, die mit ihm gezogen sind und ihn gehört haben, leben noch, und sie werden die Worte unseres Herrn aufschreiben, damit die ganze Welt sie hören kann.«
»So sind seine Worte nicht nur für die Juden bestimmt?«
Maternus schwieg einen Augenblick, als müsse er die Antwort sorgsam überdenken. »Darüber gibt es einen Streit zwischen einigen seiner Anhänger. Die einen meinen, es müsse dem auserwähltenVolk der Juden vorbehalten bleiben, andere denken, seine Botschaft müsse in der ganzen Welt verbreitet werden. Der Herr selbst aber hat uns aufgetragen: › Gehet hin in alle Welt und verkündet überall die frohe Botschaft !‹ Und so befürwortet auch unser Führer Petrus in Rom die Verbreitung dieser Botschaft an alle Menschen, und das ist der Grund, warum er Eucharios, Valerius und mich hierher geschickt hat. Ich soll den Menschen hier die frohe Botschaft unseres Herrn und Gottes bringen.«
Valerius hatte den Worten des Mannes aufmerksam zugehört. Diese Religion klang interessant, und für interessante Religionen war ein Römer immer empfänglich. »Und glaubst du, dass es gelingen wird? Werden die Menschen hier deine Worte aufnehmen?«
»Ich bin ganz sicher: Sie werden es tun, sie werden die Botschaft verstehen, aber es ist noch viel Mühe, und wir werden einige Rückschläge hinnehmen. Und doch: Hier, hier irgendwo wird einmal eine große Domus unseres Herrn stehen, wenn die Tempel, die du dort siehst, längst verschwunden sind. Unser Glaube wird über den Unglauben siegen!«
»Was macht dich so sicher?«, wollte Valerius wissen und wich einem Bettler aus, der mit gichtgekrümmten Fingern nach ihm griff.
»Nun, zum einen sind unsere Brüder die Einzigen, die missionieren, also andere von unserem Glauben überzeugen wollen. Dann haben wir immer mehr Zulauf, weil viele sich vom Götterglauben der Alten abwenden, nachdem sie erkannt haben, dass dieser Glaube zu inhaltsleeren Riten erstarrt ist. Du siehst ja, Tribun, wie sie in Pseudophilosophien wie der jener Cynicer Zuflucht suchen. Außerdem bietet Christus seinen Gläubigen etwas, was keine Religion bietet.«
Einen Augenblick herrschte Schweigen.
»Und was ist das?« Atemlos hing Dirana an den Lippen des Mannes.
»Ein besseres Leben nach dem Tode!«, entgegnete dieser stolz. »Das lässt uns alle Folter und Mühsal ertragen. Diese Hoffnung lässt Arme, Sklaven und Niedere in Scharen zu uns kommen. › Ich bin die Wahrheit und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben in Ewigkeit, wenn er auch gestorben ist‹, das sind die Worte unseres Herrn!«
»Leben in Ewigkeit. Keine Furcht vor dem Tode, vor dem Danach. Wenn es nicht nur ein leeres Versprechen ist«, wandte Valerius nachdenklich ein. »Immerhin,
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