Agrippina - Kaiserin von Rom
Flüssigkeit.
»Was ist das?«
»Keine Ahnung, sed nisi necabit, sanabit – aber wenn es dich nicht umbringt, wird es dich wohl heilen.«
Mit einem Schluck leerte Valerius das Fläschchen. Ein nicht unangenehmer, leicht bitterer Kräutergeschmack. Sekunden später machte sich eine wohlige Wärme im Magen breit.
»Ich musste bei der Warnung des jungen Mädchens an die Geschichte denken, die ich dir am Abend zuvor erzählt hatte«, lachte der Kaufmann.
Megara ! Der Tribun wusste sofort, was Scribonius meinte, schwieg aber.
»So, jetzt muss ich dich verlassen, die Geschäfte rufen.«
***
Nach vier Tagen war Valerius wieder so weit bei Kräften, dass er die Garnison verlassen konnte. Erleichtert hatte er festgestellt, dass sowohl sein Goldbeutel als auch seine Schriftstücke in seinem Gepäcksack unangetastet geblieben waren.
Sein erster Weg führte ihn in die Herberge des Vindurix. Nebel und Regen hatten sich verzogen, und eine kräftige Frühlingssonne lachte vom Himmel. Mit dem kräftigen Schimmel, den er sich in der Garnison ausgeliehen hatte, erreichte er in drei Stunden das Wirtshaus, das auch jetzt im strahlenden Licht der Sonne nichts von seiner bedrohlichen Düsternis verloren hatte. Mit festen Schritten betrat er den menschenleeren Schankraum.
»He da, Wirt, wo steckst du?« Er schlug mit dem Schwertknauf so heftig auf einen der Tische, dass zwei Krüge von den Wänden fielen. Eilige Schritte schlurften herbei, plötzlich stand Vindurix wie aus dem Nichts vor dem Tribun.
»Ei sieh nur«, sagte er, und seine schmalen Lippen verzogen sich zu einem höhnischen Grinsen, »dem hohen Herrn hat es so gut gefallen, dass er uns einen weiteren Besuch abstattet. Das gleiche Zimmer?«
Valerius packte den Alten an seinem schmutzigen Kragen und schüttelte ihn kräftig durch.
»Du wirst keinen Spott mit mir treiben, alter Narr! Was hast du mir ins Essen getan, welchen Trunk hast du mir serviert, dass ich tagelang auf Leben und Tod im Fieber lag? Rede, oder, bei den Göttern, du wirst meine Klinge spüren!«
Die Miene des Alten veränderte sich schlagartig, die eben noch frechen Züge wurden devot und unterwürfig. Mit weinerlicher Stimme rief er: »Halt ein Tribun, du wirst doch keinen alten Mann töten! Was kann ich dafür, dass dir mein Essen nicht bekommen ist? Deinem Freund ist es ja auch bekommen. Kann ich dafür, dassdir germanischer Lauch und Kohl so im Magen liegen? Hab’ ich nicht alles dafür getan, dass du wieder gesund würdest? Selbst den Druiden wollte ich ja holen.«
Valerius ließ den Wirt los.
»Ich kann dir nichts beweisen, Alter«, rief Valerius, »aber glaub’ mir, ich werde die Sache prüfen. Und stellt sich deine Schuld heraus, so mögen dir die Götter gnädig sein!«
»Du glaubst, alle Welt zittert vor den Römern«, erwiderte der Alte, der seine Fassung zurückgewonnen hatte. »Sieh dir diese Waffen an!« Er deutete mit zittriger Hand auf die Schwerter und Schilde, die hinter ihm an der Wand hingen.
»Mit diesen Waffen hat mein Vater am Arar gegen euren großen Cäsar gekämpft. Er gehörte zu jenen Helvetiern, die von eurem großen Feldherrn ohne Erbarmen und in größter Tücke abgeschlachtet wurden. Ich bin ein Tigurinus wie er, nie haben wir Angst vor den Römern gehabt. Nie!« Der Alte hatte sich ereifert, und Speichel troff aus seinem fast zahnlosen Mund, grenzenloser Hass loderte in seinen Augen.
Valerius berührte dieser Gefühlsausbruch nicht, die Geschichte war ihm bekannt. Sie gehörte in der Tat nicht zu den Ruhmestaten der römischen Truppen. Ohne auf die Vorwürfe des Alten einzugehen, fragte er kalt: »Wo ist das junge Mädchen? Wo ist Vernicia?«
»Was willst du von ihr?«, geiferte der Alte, »sie tut ihre Arbeit und will von euch Römern nichts wissen!«
»Rede, Alter, wo ist sie? Was hast du mit ihr gemacht?«
Aber der Alte schwieg.
»Dann suche ich sie eben selbst!« Er stieß den Wirt beiseite, ließ ihn zeternd und schreiend zurück und betrat das Zimmer hinter dem Schankraum. Er fand Vernicia in der hintersten, finstersten Ecke, sie saß zusammengekauert auf dem schmutzstarrenden Boden, das Gesicht geschwollen und das schöne, lange Haar zu kurzen Strähnen geschnitten. Aus riesigen, furchterfüllten Augen starrte sie den Römer an.
»Vernicia! Was ist mit dir passiert?«
Die Augen des zitternden Mädchens füllten sich mit Tränen. Sie öffnete ihren Mund, und Valerius schauderte. Man hatte ihr die Zunge herausgerissen.
V.
Das Grabmal des Lucius
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