Agrippina - Kaiserin von Rom
Tage an der Baustelle. Es war eben ein Unfall, wie sie auf solchen Baustellen schon einmal passieren, auch wenn man noch so aufpasst. Auch konnten wir den Arbeiter nicht ermitteln, der die Steine herabgeworfen hat. Meine Arbeiter haben jedenfalls alle nötigen Schutzmaßnahmen getroffen. Hörst du? So wie jetzt!«
Gerade waren wieder die Warnrufe zu hören. » Attenti omnes ! – Alle aufpassen!«
Die Arbeiter traten zur Seite, und schon rauschte in der Entfernung ein weiterer Schwall von Steinen, Schutt und Bauresten auf die Erde und hüllte die Baustelle vorübergehend in undurchdringlichen Nebel. Longinus begann zu husten und klopfte sich gegen die Brust.
»Ist gar nicht gesund, immer den Staub einzuatmen. Abends sind meine Leute und ich wie gerädert. Den Staub kriegst du nicht aus der Lunge, nicht einmal aus der Kleidung. Aber was soll man machen? Ich wünschte nur, die Arbeit wäre etwas besser bezahlt. Aber wer fragt schon danach, wenn wir hier für kargen Lohn unsere Gesundheit aufs Spiel setzen. Jeder arbeitet für unseren göttlichen Kaiser an der Stelle, wo das Schicksal ihn hingestellt hat, nicht wahr?«
Er klopfte sich den Staub von seinem schäbigen Mantel und hustete erbärmlich, wie um seinen leidvollen Vortrag zu bekräftigen. Bevor Valerius noch etwas sagen konnte, schob er hastig nach: »Warum fragst du eigentlich?«
»Das geht dich nichts an«, raunzte Valerius ihn an. Er war schlechter Laune, denn er kam keinen Schritt weiter und hatte wenig Lust, sich die ausufernden Klagen des Vorarbeiters anzuhören.
»Hast du irgendetwas Außergewöhnliches bemerkt? War eine Person in der Nähe, die du nicht kanntest und die auf der Baustelle nichts zu suchen hatte?«
Longinus setzte ein treuherziges Gesicht auf und hob verzweifelt die Arme in die Höhe. »Aber, Herr, es stehen oft Leute hier herum und beobachten die Arbeiten. Müßiggänger, die sonst nichts zu tun haben, Sklaven, die ihre Besorgungen unterbrechen, Spaziergänger, die neugierig stehen bleiben. Sie alle kommen hier vorbei, verweilen einen Augenblick, halten ein Schwätzchen und schauen zu. Ist doch ganz normal, oder? Das göttliche Schicksal kennt keine Stände. Mal trifft es irgendeinen armen Schlucker, diesmal hat es einen Hochwohlgeborenen getroffen. Die Götter machen da keinen Unterschied. Bei gutem Wetter stehen hier manchmal ...«
»Ja, schon gut«, unterbrach Valerius den geschwätzigen Vorarbeiter ungeduldig. »Dein Geschwätz vom göttlichen Schicksal interessiert mich nicht.«
Longinus machte einen beleidigten Eindruck, schwieg aber. Valerius beschloss, einen letzten Versuch zu machen.
»Könnte es sein, dass ... der ... Unfall kein ... Unfall war?«
Longinus blickte empört auf. Seine Miene wurde abweisend.
»Kein Unfall? Wie meinst du das, Herr? Was soll es denn sonst gewesen sein?«
»Sei nicht so begriffsstutzig, Kerl! Ich meine, ist es denkbar, dass jemand vorsätzlich den Quaestor getroffen oder ihn jemand im rechten Augenblick gestoßen hat?«
»Du meinst, man könnte ihn ... ermordet haben?«
Das Gesicht des Vorarbeiters war blass geworden. Nur zögernd war das Wort »ermordet« über seine Lippen gekommen. Er kratzte sich mit seinen schmutzigen Fingern im struppigen Haar. Seine Füße scharrten unruhig im schmutzbedeckten Schnee, während er den Eindruck vermittelte, so angestrengt nachzudenken, wie es sein schlichtes Hirn überhaupt zuließ.
Es dauerte eine ganze Weile, bis er mit fester Stimme sagte: »Ausgeschlossen, Herr, völlig ausgeschlossen! Meine Arbeiter hätten das gesehen. Ich habe sie alle nach dem schlimmen Vorfall befragt, keiner von ihnen hat auch nur eine Andeutung gemacht. Und für meine Männer lege ich die Hände ins Feuer. Es sind gute Männer, die man nur besser bezahlen müsste. Einfache Burschen, die Hälfte von ihnen sind Sklaven, die anderen sind Tagelöhner. Einfach, aber ehrlich. Nein, ganz sicher, es war ein Unfall. Ob da aber ein Fremder war, der vielleicht ..., das kann ich nicht sagen. Wie schon gesagt, so viele Leute, die hier herumstehen. Man hat ja auch den Quaestor erst erkannt, als es schon passiert war. Es tut mir Leid, dass ich dir nicht helfen kann.«
Der Bursche machte trotz seiner grobschlächtigen Art einen ehrlichen Eindruck. Hier kam er nicht weiter. Valerius bedankte sich für die Auskünfte und verließ die Baustelle. Lange noch blickte Longinus ihm nachdenklich nach. Eine plötzliche Müdigkeit überfiel Valerius mit Macht. Er konnte kaum noch denken. Alles
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