Agrippina - Kaiserin von Rom
Hast du Petrus gesehen?«
»Petrus? Äh ... ja, ich habe ihn kennen gelernt. Ein beeindruckender Mann.«
Plötzlich schlug sich Valerius vor die Stirn. »Petrus! Er gab mir ein Schreiben für dich mit. In all der Aufregung hab’ ich das ganz vergessen. Verzeih mir!«
Maternus lächelte gütig. »Und wo ist es?«
»Ja, natürlich. Einen Augenblick. Ich habe es hier irgendwo abgelegt.«
Eine Zeit lang kramte Valerius in Rollen und Schriftstücken, die in einem Holzregal abgelegt waren. Dann hob er es triumphierend in die Höhe.
»Hier ist es!«
Rasch griff Maternus nach der Schriftrolle und entrollte sie. Er las laut vor:
Simon Petrus
Knecht und Apostel Jesu Christi
an den Auserwählten in der Diaspora in Germanien
Gnade dir, Maternus, und Friede in reichem Maße
Gerne habe ich die Grüße erhalten, die du mir durch Valerius hast
zukommen lassen. Er scheint ein redlicher Mann zu sein, der
unserem Glauben nicht mehr allzu fern steht. Wie ich dich kenne,
wirst du nichts unversucht lassen, um ihn der Gnade unseres
Herrn zuzuführen.
Hier in der Hauptstadt des Reiches nehmen die Dinge keinen
guten Gang, und ich befürchte, dass die Tage der Drangsal,
die uns unser Herr vorausgesagt hat, bald beginnen werden.
Umso wichtiger aber ist es, dass die Menschen in den Provinzen
in ihrer Arbeit nicht nachlassen, was auch immer hier passieren
mag. Dich, geliebter Maternus, ernenne ich hiermit zum Bischof
der Ubierstadt mit dem langen unaussprechlichen Namen.
Ich weiß, dass du mit den Diakonen Eucharios und Valerius
tüchtige Helfer an deiner Seite hast. Ihr sollt die herrlichen Taten
dessen verkündigen, der euch aus der Finsternis zu seinem
wundervollen Licht berufen hat. Damit wird euch große Ehre
zuteil, da ihr glaubt. Die Ungläubigen aber sind die Steine,
die die Bauleute verworfen haben. Denket also immer daran:
Viele sind berufen, wenige aber auserwählt.
Es grüßt euch die Gemeinde in Rom und Marcus, mein Sohn.
Grüßt einander mit dem Kuss der Liebe!
Friede sei mit euch allen in Christo! Amen
Simon Petrus
Aufmerksam hatte Valerius den Worten gelauscht. »Ich gratuliere dir herzlich, Maternus, zu deiner Ernennung. Aber was, bei Mercur, ist ein Bischof ?«
Maternus runzelte bei der Anrufung Mercurs leicht die Stirn. »Es wäre mir lieber, du würdest gerade in diesem Zusammenhang nicht einen heidnischen Gott anrufen.«
»Verzeih, Maternus. Ist mir so ... herausgerutscht. Gewohnheit, weißt du.«
»Aber zu deiner Frage. Einen Bischof nennen wir den Leiter einer Gemeinde. Petrus zum Beispiel ist Bischof von Rom. Bischof sein, das bedeutet aber nicht, den anderen vorzustehen, sondern ihnen zu dienen. So wie der Herr uns gedient hat.«
Valerius machte ein ratloses Gesicht. »Ist es nicht ein Widerspruch, wenn ein ›Herr‹ dient?«
Maternus schmunzelte. »Auf den ersten Blick hast du Recht. Aber schau, was unser Herr Jesus Christus getan hat: Er ist auf diese Welt gekommen, hat allen Menschen die frohe Botschaft des ewigen Lebens gebracht und hat sich, als seine Zeit gekommen war, für uns ans Kreuz schlagen lassen. Ans Kreuz, an das man sonst nur Verbrecher und böswillige Sklaven schlägt. Gibt es einen größeren Dienst, als solch eine Erniedrigung auf sich zu nehmen?«
Valerius schwieg, und gleich fuhr Maternus fort: »Er hat gelitten wie der elendste Mensch, er hatte Angst, zum Schluss gar fühlte er sich von seinem Vater verlassen.«
»Verlassen? Wieso?«
»Nach den Berichten, die Marcus auf Geheiß des Petrus verfasst hat, soll er kurz vor seinem Tod gerufen haben: › Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?‹ «
Wieder herrschte Schweigen, und Valerius versuchte mühsam, die Worte zu verstehen.
»Das versteh’ ich nicht«, brach es dann aus ihm heraus. »Wenn dieser Jesus Gottes Sohn war, warum hat sein Vater dann zugelassen, dass sein Sohn unter so furchtbaren Qualen sterben musste? Ich meine, Jupiter würde es niemals zulassen, dass seiner Tochter Minerva so etwas passieren würde.«
Eine Welle des Unmuts zog über Maternus’ gütige Miene. Er war ein duldsamer Mensch, aber die Erwähnung römischer Göttermachte ihn stets zornig. Dennoch nahm er sich zusammen und sagte in der Stimmlage, in der ein Vater seinem unmündigen Kind etwas erklärt: »Jupiter! Minerva! Liebster Marcus, ich würde wirklich wünschen, du würdest nicht immer wie ein Kind die mythologischen Geschichten eurer Götterwelt heranziehen. Sie gehören in das Reich der Fabeln und
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