Agrippina - Kaiserin von Rom
ist so diskret. Nicht Beschwörungen und Verwünschungen sind ihr Geschäft, nicht Fluchtäfelchen oder Zauberpapyri, nicht schwarze Magie oder Weissagung. Nein, die furchtbare Alte hat sich ganz auf das Mischen von Giften verlegt, und in dieser Kunst hat sie die höchsten Weihen erreicht. Aber es sind nicht nur tödliche Gaben, die die Alte bereitet. Gifte können auch heilen, wenn man um die rechte Dosierung weiß. Und niemand kennt diese Dosierung besser als die alte Locusta, und so beherrscht sie den Tod in gleichem Maße wie das Leben. Freilich, ihre Dienste sind nicht billig. Und doch ist jede Arbeit ihres Lohnes wert, auch diese, gerade diese!
Ein hagerer Mann in schwarzem Mantel steigt keuchend den steilen Clivus Publicus herauf, der vom Circus Maximus zum Aventin führt. Zu dieser frühen Abendstunde ist er fast allein, und diewenigen Menschen, die ihm begegnen, beäugen ihn argwöhnisch. Aber finstere Gestalten sind hier an der Tagesordnung, und so kümmert sich niemand um die Gestalt mit der rot glühenden Narbe, die zielsicher voranschreitet. Der Hagere verlässt die breite Straße, die ihn heraufgebracht hat, und durcheilt mit festem Schritt den schmalen Weg durch das Dickicht aus alten Kiefern und Zypressen, das den Hügel umgibt. Längst hat er die letzten ärmlichen Häuser zurückgelassen und steuert auf die finsteren Höhlen zu, die sich tief in den Berg eingegraben haben. Viele von ihnen sind verlassen, in einigen haben entlaufene Sklaven einen ersten Unterschlupf gefunden, in einer anderen wird die Beute aus dem letzten Einbruch gerade verteilt, und die Burschen, die sich bei ihrem Tun gestört fühlen, beschimpfen den Hageren unflätig. Der aber geht ungerührt weiter, bis er vor einer Höhle steht, die nach vorne durch einen morschen Holzverschlag abgesichert ist. Kein Schild nennt den Namen der Bewohnerin, doch das ist auch nicht nötig. Wer sie sucht, weiß, wo sie zu finden ist. Ohne zu klopfen öffnet der Hagere die windschiefe Tür, die sich ächzend in ihren verrosteten Angeln bewegt. Ein Rabe erhebt sich, durch das Geräusch aufgeschreckt, von seinem Platz und dreht krächzend seine Runde.
Seine Augen müssen sich erst an die nachtdunkle Finsternis gewöhnen, die nur durch wenige Öllampen erhellt wird. Ein altes Weib steht murmelnd vor einer Ansammlung von Töpfen und Phiolen, in der Hand einige getrocknete Kräuter. Jetzt werden sie zerbröselt, dann mit dem Mörser pulverisiert, später mit dem Inhalt einiger Phiolen vermischt. Der zahnlose, sabbernde Mund scheint ständig zu grinsen und murmelt fortwährend Formeln aus uralter, etruskischer Zeit, die nur die Alte noch kennt. Unaufhörlich wackelt der Kopf mit den strähnigen schlohweißen Haaren. Die klapperdürren Beine wollen ihren Dienst kaum noch tun, doch die gichtigen Finger sind von einer Geschicklichkeit, die man der Alten kaum zutraut.
Die Hausherrin hat den Besucher noch nicht bemerkt, der seine Blicke jetzt durch die höhlenartige, fensterlose Behausung schweifen lässt. Er ist nicht zum ersten Mal hier. An allen Seiten der Höhle sind die feuchten Wände mit klapprigen Regalen verstellt, die jeden Augenblick umzustürzen drohen. Töpfe und Tiegel, uralte Käfige, Amphoren und Fläschlein jeder Größe füllen die Regale.In manchen kraucht und kriecht, zischt und summt es. Schildkröten, kleine Schlangen, bunte Eidechsen, schwarz behaarte Spinnen, Insekten und sonstiges Getier füllt manchen Behälter und wartet darauf, die unseligen Säfte des Todes von sich zu geben. In anderen Schüsseln finden sich Federn, Knochen oder in trübe Flüssigkeiten eingelegte Eingeweide, Stierhoden und Pferdeblut, Tigerpenis oder Schlangenhaut, es scheint nichts zu geben, was die Alte nicht zu späterem Gebrauch gesammelt hat. In einer Schüssel meint man die Reste eines menschlichen Gehirns zu entdecken, in einer anderen gar schwimmt ein Fötus und blickt den von Grauen und Schrecken gleichermaßen faszinierten Besucher aus seelenlosen kleinen Augen klagend an.
Zaubertränke, Liebesdrogen, Heilkräuter, Lebenselexiere – nichts, was Locusta nicht vorrätig hat. Und was sie nicht hat, stellt sie her. Auf Bestellung und gegen gutes Gold, viel Gold! Amüsiert betrachtet der Hagere das Sammelsurium. Die Alte hat ihn endlich bemerkt und grinst ihn aus ihrem zahnlosen Mund an. Die Ähnlichkeit zu ihrer Schwester Antrustra ist überdeutlich, wie der Gast feststellt.
»Ei, sieh an. Der edle Tullius Torquatus Niger gibt mir die Ehre! Bist du
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