Ahnentanz
entgegenzunehmen.
Aidan hatte gerade angefangen, sich wohlzufühlen, nicht zuletzt durch Mattys warme Begrüßung. Nun spannte sich jeder Muskel seines Körpers wieder an. Es gab so viele Bars und Musikkneipen in der Bourbon Street, warum musste Kendall Montgomery heute Abend ausgerechnet hier landen?
Der Gitarrist grinste, ergriff den Plastikbecher mit was auch immer, nahm einen langen Schluck und gab ihn zurück. Bevor er sich für den weiteren Auftritt bereit machte, stupste er den Drummer an, der daraufhin zu Kendall sah und sie mit einem Salut grüßte.
Danach kehrte sie an den Tisch zurück, an dem sie offenbar saß. Begleitet wurde sie von einem großen, gut gebauten Mann mit Glatze und dicken schwarzen Augenbrauen. Er grüßte mitseiner Bierflasche in Richtung Bühne, als wolle er auf den Erfolg der Band anstoßen.
„Was für eine hübsche Frau“, sagte Matty, was sie in Aidans Augen noch liebenswerter machte. Sie war nicht der Typ, der andere Frauen schlecht machte.
„Sie hat schönes Haar“, bemerkte Zachary.
„Bist du sicher, dass du nur ihr Haar anschaust?“, fragte Jeremy neckend.
„Mag sein, dass ich mir die ganze Verpackung anschaue“, erwiderte Zachary und grinste Matty an. „Sie ist wirklich umwerfend, oder? Wobei hier natürlich eine Schönheit die andere bewertet.“
Matty lachte. „Das Kompliment ist ebenso charmant wie geschätzt. Und ja, diese junge Frau ist absolut umwerfend. Ihr kennt sie?“
„Wir haben sie heute kennengelernt. Beim Haus“, erklärte Jeremy.
Aidan ertappte sich, wie er Kendall eingehend musterte. Sie sah unbestreitbar umwerfend aus, doch waren ihr Stolz und die Würde, die sie heute an den Tag gelegt hatte, wirklich echt? Oder war sie eine Blutsaugerin, die Amelia Flynn bis zum Ende ausgenutzt hatte?
Eigentlich glaubte er das nicht. Im Laufe der Jahre hatte er eine ganz gute Menschenkenntnis erworben. Normalerweise wusste er, wann jemand log. Es gab winzige äußere Anzeichen, an denen er inzwischen erkannte, dass ihm jemand eine Lüge auftischte oder auch nur die Wahrheit ausschmückte. Es wurde zu oft geblinzelt, der Puls raste. Es fiel den Menschen schwer, einem in die Augen zu sehen, während sie logen. Einige Lügner waren natürlich besser als andere und hatten gelernt, den Blick nicht abzuwenden – sie waren Gewohnheitslügner. Doch selbst dann – die Handflächen wurden ein bisschen feuchter, und auch die Venen am Hals waren ein Signal.
Wenn man außerdem noch berücksichtigte, wie KendallMontgomery angezogen war und was für ein Auto sie fuhr, dann schien es ihr zwar gut zu gehen, doch sie machte nicht den Eindruck, als ob sie in Geld schwamm. Sie hatte zum Beispiel keine dicken Klunker an den Fingern. Sie sah einfach nicht aus, als ob sie Amelia gemolken hätte, um ihr Einkommen zu verbessern.
Sie hatte sich nur einmal abgewandt, als es um Amelia ging und die Dinge, die sie angeblich nachts gesehen hatte. Und selbst da war ihr Ärger auf die Brüder – nein, auf ihn – wegen der versteckten Anschuldigung gegen Amelia echt gewesen.
Sie hatte tatsächlich schönes Haar, wie ihm jetzt auffiel, da er sie eingehender musterte. Es war lang, dicht, seidig und glänzte selbst im gedämpften Licht der Bar noch feuerrot. Ihr Gesicht war perfekt: klare, große Augen, eine markante Kieferkontur, hohe Wangenknochen, ein perfekt geformter, großzügiger Mund, eine gerade Nase, nicht zu klein, nicht zu groß, sondern genau richtig für ihr Gesicht. Es war ungewöhnlich symmetrisch. Dass sie so umwerfend wirkte, hatte allerdings mehr mit ihrem Auftreten als mit ihrem Aussehen zu tun. Sie war groß und hatte eine gute Haltung. Elegant. Sie bewegte sich anmutig, sicher, mit geraden Schultern. Sie war der Typ Frau, der alle Blicke auf sich zog.
Ihm fiel auf, dass er seine Beobachtungen sehr kühl analysierte – und fragte sich, ob er wirklich so kühl war. Sie schien nicht unwesentlich zu seiner Anspannung beizutragen. Nun, sie konnten schließlich alles Mögliche tun, um moderne Männer zu sein, aber die Natur änderte sich nicht. Die Frau war perfekt gebaut, und es war nahezu unmöglich, sie nicht anzusehen und nicht daran zu denken, wie großartig es wäre, sie zu berühren – wie großartig sie im Bett wäre.
Verärgert über seine eigenen Gedanken wandte er sich ab. Es war nicht so, dass er seit Serenas Tod wie ein Mönch gelebt hätte. Er war seitdem mit Frauen ausgegangen. Mit vielen Frauen. Das Spiel hatte sich verändert, seit er das letzte
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