Ahnentanz
dass auch sie nicht daran glaubte, auch wenn er nicht erklären konnte, warum. Vielleicht weil sie zu nüchtern wirkte, zu bodenständig.
„Tut mir leid. Ich wollte Sie nicht erschrecken.“
Sie atmete tief durch. An der pochenden Ader an ihrem Hals erkannte er, dass ihr Puls jagte. Er hatte ihr Angst eingejagt, egal was sie sagte.
„Also. Was wollen Sie?“
„Ich dachte nur, dass … ich war nicht sicher … herrje. Ich dachte, ich begleite Sie auf dem Heimweg.“
Sie sah ihn eindringlich an. „Sie dachten, ich brauche jemanden, der mich nach Hause begleitet?“ In ihrem Tonfall hielten sich Ungläubigkeit und Ungehaltenheit die Waage.
„Es ist Abend. Und es ist dunkel“, sagte er lahm.
Sie blickte ihn an. Mit ironischem Unterton sagte sie: „Ich lese Tarotkarten. Und ich lese aus der Hand. Man hält mich für eine Art Medium. Meinen Sie nicht, ich würde Gefahr vorhersehen?“
„Keine Ahnung. Die parapsychologische Telefonberatung ist pleitegegangen. Man hätte annehmen sollen, dass einer von ihnen das vorhergesehen hätte.“
„Ich wohne hier. Ich wohne hier schon mein ganzes Leben. Ich weiß, wo ich ohne Risiko langgehen kann. Und das hier ist auch keine gefährliche Stadt, egal, was die Leute sagen. Sicher, wir haben Probleme. Alle Großstädte haben Probleme.
Ich kann allein und ohne irgendeine Gefahr die nächsten zwei Blocks bis nach Hause gehen. Und ich danke Ihnen für die Besorgnis, aber ich bin nicht sicher, ob Sie mir wirklich aus diesem Grund gefolgt sind.“
„Nein?“
„Nein“, sagte sie ausdruckslos. Sie seufzte, als wäre sie wirklich erschöpft. „Dann frage ich Sie noch einmal: Was wollen sie wirklich von mir?“
Er zögerte nicht. Er log nicht. Es wäre albern gewesen. „Ich möchte mehr über Sie wissen.“
„Über mich?“
„Sie – und die Zeit, die Sie mit Amelia verbracht haben. Und darüber, was nachts vor sich ging. Was sie sah, was sie träumte, was sie sagte und was es war, das ihr – und Ihnen – Angst eingejagt hat.“
Sie starrte ihn an.
„Geister?“, fragte sie, als wolle sie sich über sich selbst mokieren.
„Glauben Sie an Geister?“, fragte er.
Die Frage schien aufrichtig gemeint zu sein. Er veralberte sie nicht, er war nur neugierig.
„Nein, natürlich nicht“, erwiderte sie.
Und das war die Wahrheit, oder?
Sie gingen weiter, und er erwähnte, dass er die Stadt allein wegen ihrer Architektur schon immer geliebt habe. Daraufhin erklärte sie ihm die Geschichte einiger Gebäude, an denen sie vorbeikamen. Zehn Minuten später waren sie noch immer im angeregten Gespräch.
In ihrer Wohnung.
Kendall konnte sich nicht daran erinnern, wie sie es geschafft hatte, ihn einzuladen, wo sie ihn ja nicht einmal mochte, doch er war eindeutig da.
Sie wohnte im Erdgeschoss eines schönen alten Hauses, Baujahr 1816. Von dem langen durchgehenden Hausflur gingenvier Mieteinheiten ab, zwei zu jeder Seite. Kendalls Tür führte in ein kleines Empfangszimmer, das sich wiederum zu einem Flur öffnete, von dem zwei Schlafzimmer abgingen – eines nutzte sie als Büro – und der in einem geschmackvoll renovierten Wohn- und Küchenbereich mündete. Ein langer Tresen im hinteren Bereich trennte die Küche von dem Wohnbereich, der sich zum Garten öffnete. Statt Schiebe-Glastüren führten doppelte Fenstertüren in einen Innenhof und einen Garten, der ursprünglich den Eingang des Hauses markiert hatte. Hinter dem Zaun am Ende des Grundstücks verlief eine Gasse, und es gab noch immer ein Eingangstor. Die Menschen waren einst dort ins Haus gegangen, wo heute die Rückseite war.
„Hübsch“, kommentierte Aidan.
Da er schon mal da war, hatte Kendall sich verpflichtet gefühlt, ihm einen Drink anzubieten. Gedankenverloren ließ er nun den Scotch in seinem Glas kreisen, während er hinaus in den Garten sah.
„Es ist mein Zuhause“, sagte sie. „Gehört es Ihnen?“
„Ich wohne zur Miete.“
„Läuft Ihr Laden gut?“
„Ja.“
„Ich schätze, die Menschen kommen wirklich hierher, um sich in Voodoo und allem Okkulten zu versuchen“, sagte er.
„Die meisten machen es nur zum Spaß“, sagte sie.
Er wandte sich um und ging zurück in die Küche, wo er sich auf einen der Barhocker setzte.
„Was ist mit den Leuten, die es nicht nur zum Spaß machen?“
Sie nahm einen langen Schluck von ihrem Drink, Wodka mit Cranberrysaft. „Voodoo ist eine anerkannte religiöse Praxis.“
Mit einer Handbewegung wischte er den Einwand fort. „Wenn ich ins
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