Ahnentanz
sie sich, was mit seiner Frau passiert war. Doch diese Frage würde sie ihm mit Sicherheit niemals stellen.
Sie sagte sich, dass ihr plötzliches Unbehagen lächerlich war. Nur weil er ein alleinstehender Mann und sie eine alleinstehende Frau war, hieß das nicht, dass sie einander anspringen mussten. Oh Gott. Was für ein bizarrer Gedanke, der da in ihremKopf aufgetaucht war. Sie hatte ihn vom ersten Augenblick an nicht gemocht, und sie mochte ihn noch immer nicht. Sie hatte nur aufgehört, seinen Drohgebärden zu glauben, und festgestellt, dass er ganz freundlich sein konnte.
Und sie war sich dessen bewusst, dass er als Mann …
Was als Mann?, fragte sie sich gereizt. Er hielt sie für eine Schwindlerin.
Nun, gab es nicht Momente, in denen sie dasselbe dachte? Sie musste ihn aus dem Haus schaffen. Sie war erschöpft.
Eine merkwürdige Schwäche überkam sie, und das mochte sie nicht. Sie brauchte den logischen Teil ihres Denkens, um das Gespräch weiterzuführen, und dazu fühlte sie sich einfach zu müde.
Sie räusperte sich. „Ich brauche jetzt wirklich ein bisschen Schlaf.“
„Sicher.“ Er schien sich selbst ein wenig zu entspannen. Er hatte sie ebenso gemustert wie sie ihn. Wie lange? Etwas erschien in seinen Augen. Ein Flackern. Als hätte er etwas in ihr gesehen, das er mochte.
„Natürlich.“
Er stellte sein Glas auf dem Tresen ab und vermied jede Berührung, als er an ihr vorbeiging.
„Danke für den Drink.“ Seine Worte waren höflich. Distanziert. Sie folgte ihm nicht, als er den Flur hinunterging.
Erst als sie hörte, wie sich die Eingangstür hinter ihm schloss, ging sie langsam hinterher und schloss ab.
Zu ihrer eigenen Überraschung stellte sich die erwartete Erleichterung, wieder allein in ihrem Apartment zu sein und Zeit zum Entspannen und Schlafen zu haben, nicht ein. Stattdessen …
Sie fühlte sich unbehaglich.
Und lächerlicherweise wünschte sie sich, dass er noch bei ihr wäre. Normalerweise wirkte ihr Apartment so einladend.
Und nun …Nun schien es einfach nur leer zu sein.
Und sie fühlte sich so allein wie schon seit Jahren nicht.
Jezebel miaute neben ihr. Kendall nahm die Katze auf den Arm und rieb ihr Kinn an dem weichen Perserfell. Sie mochte alle Tiere, doch bei ihrem Arbeitspensum war eine Katze die beste Wahl als Haustier.
„Warum wünsche ich mir plötzlich, du wärst ein Hund?“, fragte sie. „Zum Beispiel ein riesiger Mastiff oder ein Pitbull?“
Wieder miaute Jezebel.
„Du bist ein große Hilfe“, sagte Kendall sarkastisch.
Doch es lag nicht an der Katze. Selbst mit Jezebel auf dem Arm fühlte sich Kendall noch immer allein.
Und verängstigt.
Dieses E-Book wurde von der "Osiandersche Buchhandlung GmbH" generiert. ©2012
5. KAPITEL
Der Tod.
Er konnte gewaltsam kommen oder friedlich, auf einem Schlachtfeld oder auf der Straße, zu Hause oder in einem Krankenhaus. Er konnte einen Menschen so ruhig aussehen lassen, als ob er schliefe, oder völlig zerfetzt, geschändet, verfallen.
In der modernen Welt wurde er nach Möglichkeit ausgesperrt und steril gehalten. Doch Katastrophen bedeuteten Feldlazarette, improvisierte Leichenhallen, manchmal auch Massengräber und Verbrennungen.
Aber der Sturm lag hinter ihnen. New Orleans kam allmählich wieder auf Hochtouren.
Katrina hatte schwere Verwüstungen in der Stadt angerichtet, auch im Leichenschauhaus. Vieles hier war neu. Die Besucher betraten nun einen ruhigen, geschmackvollen Empfangsraum, wie er auch bei einem Geschäftsmann oder einem Arzt zu finden war. Leise Musik wurde gespielt, und eine junge Frau mit freundlicher Stimme bot ihre Hilfe an.
Man hatte alles getan, um die Anwesenheit des Todes zu verbergen in diesen Räumen, wo die Hinterbliebenen einen letzten Blick auf ihren geliebten Menschen werfen wollten. Und nicht nur das, hier wurden sie auch oft von der Polizei befragt, die das Rätsel ihres Todes lüften wollten. Und einem ruhigen Ehemann gelang es natürlich besser, sich daran zu erinnern, was seine Frau vor ihrem Tod getan hatte.
Aidan kannte das Leichenschauhaus. Er war einige Male hier gewesen, wenn ein Fall ihn nach New Orleans geführt hatte. Und wie in allen Leichenschauhäusern gab es dort trotz aller Versuche, es zu verdecken, noch immer etwas, das selbst die Wände zu durchdringen schien. Keine Musik konnte das Weinen einer Mutter übertönen, die ihr Kind verloren hatte. Und keine noch so große Menge an Reinigungsmitteln konnte jemals den Geruch des Todes völlig
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